Berufstätigkeit
In Romanen und Filmen steht die Arbeitswelt der Menschen selten im Vordergrund, meist wird nur beiläufig erwähnt, womit die Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen. Selbst in vielen Krankenhausserien ist die medizinische Arbeit nur Kulisse. Eine Ausnahme sind Krimis, in denen es um die Ermittlertätigkeit geht.
Auch bei der Darstellung blinder und sehbehinderter Menschen erfährt man nur nebenbei oder gar nicht, ob sie einer Berufstätigkeit nachgehen und wenn ja, welcher.
Wenn aber der Beruf genannt wird, dann ist es häufig ein musischer Beruf, besonders oft sind blinde Menschen Musiker. Manchmal sind es berühmte reale blinde Musiker. (Ray Charles, Stevie Wonder, Maria Theresia von Paradis, aber auch Louis Braille, der als Organist gearbeitet hat.)
Es gibt aber auch zahlreiche andere blinde Protagonisten und Protagonstinnen, die sich ihren Lebensunterhalt mit Musik verdienen.
Mit einigem Abstand folgen Menschen, die sich im weitesten Sinn literarisch betätigen. Anders als bei der Mehrzahl der blinden Musiker und Musikerinnen bleibt es hier offen, inwieweit sie davon leben können. Manchmal ist offensichtlich, dass das Talent nie entdeckt wurde.
Eine weitere häufig genannte Berufsgruppe sind die pädagogisch-sozialen Berufe und die medizinisch-therapeutischen Berufe.
Sechs blinde Protagonisten oder Protagonistinnen arbeiten in juristischen Berufen.
Einige haben es auch in Führungspositionen gebracht, lehren an Hochschulen, leiten eine Personalabteilung oder gründen eigene Unternehmen.
In einer Geschichte arbeitet die blinde Person als Arzt. (Roe, Caroline: Die neun Tage des Verrats,2000)
Blinde Telefonisten oder Telefonistinnen werden relativ selten erwähnt.
Klassischen Blindenberufe wie Bürstenbinden oder Perlenauffädeln tauchen nur in älteren Produktionen auf.
Dafür hat es ein neues Berufsfeld auf den Buchmarkt geschafft: In einem Krimi arbeitet ein blinder Mann als Kellner in einem Dunkelrestaurant. (Brand, Christine: Blind, 2019)
Es gibt auch Autoren und Autorinnen, die bewusst ihre blinden und sehbehinderten Hauptpersonen mit sehr visuellen Berufen ausgestattet haben: Sie malen oder fotografieren, führen Regie oder arbeiten als Steuermann.
Manchmal ist dies nur ein Spiel mit dem Paradox, manchmal ist es aber als Metapher gemeint. (vgl. Metapher)
Interessant sind auch die Geschichten, in denen neuerblindete Personen nicht wissen, ob und wie sie ihren erlernten Beruf noch ausüben können.
Die Betroffenen gehen damit unterschiedlich um. Eine Möglichkeit ist es, die Sehbehinderung zu vertuschen.
Andere versuchen offensiv um ihr Recht auf berufliche Teilhabe zu kämpfen.
Manchmal gelingt es ihnen, z. B. weil die blinde Person beweist, dass sie es kann. Die Person gleicht ihre Blindheit durch besondere Tüchtigkeit und Unerschrockenheit aus. Dies ist z. B.in den Geschichten um blinde Polizisten der Fall. (vgl. blinde Zeugen und Detektive)
Es kann aber auch sein, dass das Sehen im Job bisher überbewertet wurde. So kommen z. B. die Verantwortlichen eines Fernsehsenders zu dem Schluss, dass für die Beurteilung politischer Ereignisse das Sehen nicht notwendig ist. (Wassermann, Charles: Die Nacht der hellen Stunden, 1977)
Eine beliebte Lösung ist, dass blinde Menschen im Team oder mit sehender Assistenz arbeiten.
Nur selten wird versucht, Barrieren zu benennen und abzubauen, indem den blinden Arbeitnehmern oder Arbeitnehmerinnen Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden. So muss ein erblindeter Versicherungsvertreter um das Recht kämpfen, einen Führhund zu nutzen, den er dringend braucht, um zu seinen Kunden zu gelangen. (Augen in der Dunkelheit, USA 1984)
In diesem Zusammenhang ist auch eine Episode aus einer Serie aus den frühen 1980er Jahren interessant. Hier verschlechtert sich nicht die Sehfähigkeit, sondern die Arbeitswelt. Der Computerfachmann droht seinen Job zu verlieren, weil er mit einem neuen Programm nicht zurechtkommt. Hierfür findet sich eine – sehr fantasievolle und wenig realistische – Lösung. (Boomer, der Streuner: Seine große Chance, USA 1982)
Doch längst nicht in allen Geschichten gibt es ein Happy End und der Arbeitsplatz bleibt erhalten.
Wenn es nicht klappt, wird dies nicht unbedingt kritisch hinterfragt. Manchmal erfährt man eher beiläufig, dass die blinde Frau nun ihren Beruf nicht mehr ausüben kann. (SK Babies: Dunkles Herz, Deutschland 1999)
Nur gelegentlich wird auch thematisiert, wie schmerzhaft es sein kann, wenn der Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann. (Das Traumschiff: Südafrika, Deutschland 1992)
Manchmal gibt es aber auch völlig sachfremde Argumente. So wehrt sich ein Präsident lange Zeit dagegen, sein Amt nach der Erblindung aufzugeben. Er lenkt ein, als er merkt, dass er einmal mit der falschen Frau geschlafen hat. Eine Mitarbeiterin hat das Parfum seiner aktuellen Geliebten benutzt und ihn so getäuscht. Die Erfahrung, dass er zwei nackte Frauen nicht auseinanderhalten kann, führt zu der Erkenntnis, dass man ihn leicht täuschen kann und er deshalb kein politisches Amt innehaben sollte. Es wirkt fast wie Satire, doch die Episode aus dem Roman von 1978 ist ironiefrei gemeint. (Safire, William: Der Anschlag, 1978)
Insgesamt: Die Berufstätigkeit blinder und sehbehinderter Menschen ist auf den ersten Blick kein besonderes Thema. Man drückt sich erfolgreich davor zu zeigen, wie schwer blinden und sehbehinderten Menschen die Teilhabe am Berufsleben gemacht wird. Die alltäglichen Barrieren werden höchstens in einigen Autobiografien sichtbar gemacht bzw. durch individuelle Tüchtigkeit überwunden. (vgl. Strukturelle Diskriminierung)