Liebe und Sexualität

Liebe und Sexualität gehören zu den häufigsten Themen in Literatur und Film, hiervon sind blinde und sehbehinderte Protagonisten und Protagonistinnen nicht ausgenommen.

In etwa einem Drittel der Geschichten haben die blinden bzw. sehbehinderten Personen eine Liebesbeziehung, manchmal wird das nur nebenbei erwähnt oder eine beginnende Liebesgeschichte zart angedeutet, oft spielt es aber auch eine zentrale Rolle.

Die Geschlechterverteilung ist sehr ausgewogen, rund 100 Frauen und Mädchen, bzw. Männer und Jungen verlieben sich in einen sehenden Partner oder eine Partnerin. In nur 19 Geschichten sind beide blind.

In diesen Geschichten lernen sie sich während der Ausbildung, beim Mobilitätstraining oder im Heim kennen.

Einmal leben die blinden Menschen in einem Heim, das eine vollkommen abgeriegelte Gesellschaft darstellt, die sie kaum verlassen und in die kaum ein Mensch von außen kommt. (Guibert, Hervé: Blinde, 1986)

In zwei Fällen wird die Liebe zwischen zwei blinden Menschen als eine Notlösung beschrieben: In einer der Geschichten kommt ein blinder Mann zu dem Schluss, nicht mehr in derselben Welt zu leben wie Sehende. Deshalb möchte er mit einer blinden Bekannten eine Beziehung beginnen.

„Aber wir beide, wir sind doch von derselben Art (…)“ (Bourgeon, Roger: Sieg über die Nacht, 1986 S. 148f)

In einer Fernsehserie lebt in einem Heim ein blindes Paar, doch die Frau will nur so lange bei ihrem blinden Partner bleiben, bis sie selbst geheilt ist. (Im Namen des Gesetzes: Blinde Liebe, Deutschland 2003)

Wenn beide Partner blind sind, müssen sie unter Umständen darum kämpfen, heiraten und Kinder bekommen zu dürfen. (Die mit dem Herzen sehen, USA 1996)

Meistens (in rund 200 Fälle) geht es jedoch um Liebesbeziehungen zwischen blinden und sehenden Menschen.

Blindheit kann - nach Ansicht einiger Autoren - auch hilfreich sein, eine Beziehung zu beginnen. Das ist immer dann der Fall, wenn die blinde Person nicht durch Äußerlichkeiten abgelenkt ist. Eine Variante ist, dass der sehende Partner nicht den gängigen Schönheitsidealen entspricht, z. B. wenn die Person schwere Gesichtsverletzungen, Brandnarben oder ein großes Muttermal hat.

In einigen Fällen weiß die blinde Person nicht, wie ihr Liebster oder ihre Liebste aussieht oder es interessiert sie nicht, weil sie keinen Wert auf Äußerlichkeiten legt. Manchmal müssen die sehenden Partner erst begreifen, dass gutes Aussehen nicht alles ist.

Oder die sehenden Menschen suchen sich gezielt einen Partner, der nicht auf Äußerlichkeiten schaut. (Federspiel, Jürg: Geografie der Lust, 1989)

Eine Variante sind Filme, in denen blinde Menschen Angehörige einer diskriminierten Gruppe oder zu Unrecht Verfolgte lieben. Dies kann dazu führen, dass die anderen Menschen daraufhin beginnen, die Vorurteile ihrer Umwelt zu überdenken.

Aber nicht immer ist es dem blinden Protagonisten egal, wie die Partnerin aussieht. So reagiert ein blinder Mann sehr verärgert, als er durch Zufall erfährt, dass seine Partnerin nicht jung und attraktiv ist, sondern von der Umwelt als alte Frau wahrgenommen wird. (Vuillemier, John: Der letzte Tunnel, 1970)

In dieser und in vereinzelten anderen Geschichten wird die Blindheit ausgenutzt. Im eher harmlosen Fall nutzt der Mann es aus, um seine Frau zu betrügen. So gibt es einen Film, in dem eine blinde Frau in der Badewanne liegt, während der Mann in der Duschkabine nebenan Sex mit seiner Geliebten hat, was die blinde Ehefrau offenbar nicht bemerkt. (Eine Sünde zu viel, Deutschland 1998)

Oder eine Frau erschleicht sich Sex mit einem blinden Mann, indem sie das Parfum seiner Freundin benutzt. (Safire, William: Der Anschlag, 1978)

Wenn die Blindheit eines Menschen ausgenutzt wird, kann das sehr dramatische Folgen haben, z. B. wenn eine blinde Frau ahnungslos einen gefährlichen Serienmörder liebt. (Harris, Thomas: Roter Drache, 1992)

Die Angst, blinde junge Menschen könnten ausgenutzt, betrogen oder enttäuscht werden, führt unter Umständen dazu, dass ihre Umwelt sie vor eigenen Erfahrungen mit der Liebe beschützen will. Nicht immer wird präzise formuliert, wovor der junge blinde Mensch überhaupt beschützt werden soll, manchmal trauen z.B. die Eltern den Kindern kein eigenständiges Leben zu.

In einigen Geschichten wird es aber auch sehr konkret formuliert. So wird ein Junge von seiner Mutter gewarnt, dass man blinde Mädchen nicht einfach verlassen kann. (Martin, Hansjörg: Hell und Dunkel, 1992)

In einer anderen Geschichte ist es die Mutter des blinden Mädchens, die einem Jungen ins Gewissen redet. Sie schildert, dass ihre Tochter extremen Liebeskummer hatte, als sie von einem sehenden jungen Mann verlassen wurde. Deshalb fordert sie den (14-jährigen) Jungen auf, der Tochter keine Hoffnung zu machen, die er irgendwann nicht mehr erfüllen kann.

„Sonja hat so ein Verlangen nach Zärtlichkeit, nach körperlicher Nähe, das ist ja normal in diesem Alter, und dann vergisst sie, dass sie behindert ist und die jungen Männer denken, sie ist doch dankbar, wenn sie eine Zeit lang nett zu ihr sind.“ (Ani, Friedrich: Wie Licht schmeckt, 2005, S. 198f)

In diesen beiden Geschichten endet die Beziehung, bevor sie angefangen hat. Es gibt aber auch einige Bücher und Filme, in denen die blinde Person dies zum Anlass nimmt, auf ihrer Selbstständigkeit zu bestehen.

Sehr deutlich formuliert es ein blinder junger Mann. Er möchte nicht wegen seiner Blindheit verlassen werden. Er möchte aber auch nicht, dass eine Frau sich verpflichtet fühlt, wegen seiner Blindheit zu bleiben. (Schmetterlinge sind frei, USA 1971)

Doch wie geht es jungen blinden Menschen, die es nicht schaffen, sich gegen die erdrückende Fürsorge ihres Umfelds zu wehren und denen kein eigenes Liebesleben zugestanden wird? Nur ein Autor, der blinde Oskar Baum, hat sich kritisch mit diesem Thema befasst. In einer seiner frühen Kurzgeschichten beschreibt er einen jungen Mann, der nach seiner Ausbildung im Blindeninternat zu seiner Mutter zurückkehrt. Seine Mutter schirmt ihn vollständig von der Umwelt ab, seinen Wunsch nach einer Geliebten wiegelt sie ab. Das brauche er nicht. Der junge Mann flieht in Fantasiewelten, in denen seine Traumgeliebte und seine Mutter zu einer Person verschmelzen. (Baum, Oskar: Von den Tagen des Arbeitslosen, 1909)

Gerade wenn die Geschichte eines späterblindeten Menschen erzählt wird, taucht immer wieder die Frage auf: Kann ich meine alten Beziehungen noch aufrechterhalten? Darf ich eine neue Beziehung eingehen? Wird mein Partner, meine Partnerin mich noch lieben?

In den Büchern und Filmen der letzten Jahrzehnte gibt es - von wenigen Ausnahmen abgesehen - fast immer ein Happy End. Die blinden Personen beginnen sich als liebenswerte Menschen zu akzeptieren. In der Regel sieht das dann so aus, dass die erblindete Person zunächst einmal die Beziehung beendet und dann einen Prozess durchmacht, in dem sie sich mit der Erblindung auseinandersetzt. Auch das Umfeld kann diese Entwicklung beeinflussen, manchmal bestätigen der Partner oder die Partnerin ihren Wunsch nach einer Fortsetzung der Beziehung.

Gelegentlich geht es auch damit einher, dass die erblindete Person sich selbst beweist. (vgl. Bedeutung der Leistung)

Daneben gibt es Geschichten, in denen dieser Konflikt nur durch eine Heilung gelöst werden kann. (vgl. Heilung)

Sehr vereinzelt führt der Wunsch, einen nichtbehinderten Menschen nicht zu belasten, auch zum Verzicht auf eine Beziehung. (Smithdas, Robert: Mit Händen ergriffen, 1960)

Doch es sind nicht immer nur Selbstzweifel; in einigen, wenigen Geschichten machen blinde Menschen die Erfahrung, abgelehnt zu werden, selten von dem Menschen, den sie lieben, sondern eher von deren Familienangehörigen.

Ein seit den 1980er Jahren sehr beliebtes Motiv folgt der biblischen Logik „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden“. Der Polizist, der der blinden Zeugin zunächst einmal gar nichts zutraute, wird ihr größter Fan und Bewunderer, eine Liebesbeziehung bahnt sich an. (vgl. Zeugen, Zeuginnen und Ermittler).

Auch in Geschichten, die einen eher aufklärerischen Charakter haben, (vgl. Lernen durch Begegnung) kommt das Thema Liebe oft vor. Liebe macht die Geschichten interessanter, und der Partner bzw. die sehende Partnerin kann alle persönlichen Fragen stellen.

Die Liebesbeziehungen sind mehrheitlich heterosexuell, gleichgeschlechtliche Liebe wird nur selten beschrieben.

Seit etwa 30 Jahren taucht auch gelegentlich die Darstellung oder Beschreibung sexualisierter Gewalt auf. (vgl. Opfer)

Dies kann auch nur in der Fantasie eines sehenden Mannes stattfinden, der die Hilflosigkeit eines blinden Mädchens erregend findet. (Bowles; Paul: Der Himmel über der Wüste, 1989)

Eine Unterform der sexualisierten Gewalt ist es, wenn eine blinde Frau zwangsverheiratet wird. (Buck, Pearl S.: Die Mutter, 1949)

Im Vergleich zur sonstigen medialen Darstellung des Themas sexualisierte Gewalt kommt es im Zusammenhang mit blinden Menschen eher selten vor.

 

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