Green, Henry: Blindsein

BLINDNESS, 1926
Göttingen : Steidl, 1991
299 S.
Roman

Der Roman, der in England 1926 erschien, spielt wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. John Haye ist ein Internatsschüler, der nur wenige Freunde hat. Er interessiert sich für Kunst und Literatur und schreibt Tagebuch. Später möchte er einmal ein berühmter Schriftsteller werden. Auf einer Zugfahrt verunglückt er. Ein Junge wirft Steine auf den Zug, eine Scheibe zersplittert und John, der sich zu diesem Zeitpunkt am Fenster befindet, wird getroffen. Sein Gesicht und seine Augen sind verletzt. Damit ist seine Schulzeit beendet und er verbringt die nächsten Monate auf dem Gut seiner Stiefmutter, die sich sehr um ihn bemüht, da er keine weiteren Angehörigen hat. Sie bietet ihm an, ihm vorzulesen oder nach seinem Diktat für ihn zu schreiben. Die Vorstellung findet er fürchterlich, da sie von Kunst nichts versteht. Er fühlt sich von ihr nicht verstanden, auch seine Blindheit nimmt sie nicht ernst.

Was meinte sie mit ihrem „Laß dich doch von allem nicht zu sehr bekümmern“? Bekümmern? Er war doch blind. Sie schienen nicht zu begreifen, daß er blind war und nie wieder sehen würde. (S. 63)

Im Dorf lebt ein ehemaliger Pfarrer mit seiner Tochter Joan. Er ist alkoholsüchtig, fühlt sich von allen Menschen unverstanden und träumt davon, ein Buch zu schreiben, was er allerdings nie umsetzt. Er behandelt seine Tochter schlecht, aber Joan sieht in ihm nur das Opfer, und fühlt sich verpflichtet, ihren Vater zu versorgen.  
John verliebt sich in sie und vertraut ihr an, dass auch er große Literatur schreiben will.

„Das werde ich. Wofür soll man sonst leben? Schreiben bedeutet mir so viel, und es ist das Einzige, wo die Blinden nicht im Nachteil sind. Denk nur an Milton.“
„Ach ja, Milton.“
„Ich muß mein Leben irgendwie rechtfertigen.“
„Komischer John.“ (S. 223)

John kommt zu dem Schluss, dass Joan geistig beschränkt ist und sie eigentlich keine gemeinsamen Interessen haben, aber er fühlt sich als ihr Beschützer und Retter aus häuslicher Not.
John will wieder nach London ziehen und Joan mitnehmen. Er glaubt, sie dort beschützen zu können, und vor allem glaubt er, in der Stadt endlich schreiben zu können. Das ruhige und eintönige Landleben verhindere seine Schriftstellerkarriere. Aber irgendwann wird ihm bewusst, dass er die ungebildete Joan nicht seinen Freunden vorstellen will, und er ermutigt sie, sich weiterhin um den Vater zu kümmern.
Stattdessen zieht seine Stiefmutter mit ihm nach London. Doch in London geht es ihm keinesfalls besser und er kann auch nicht schreiben, im Gegenteil. Die Geschäftigkeit und der Lärm der Stadt lähmen ihn. Ihm wird bewusst, wie hilflos er allein in fremder Umgebung ist. Auf dem Land konnte er sich frei bewegen, in der Stadt kann er die Wohnung nicht allein verlassen.

Denn in London ging ständig so viel vor, daß dir keine Zeit blieb, deine Sinneswahrnehmungen zu ordnen und zu analysieren, alles drang auf dich ein und ließ dich wie betäubt zurück. (S. 278)

Er beschließt, Kontakt zu seinen ehemaligen Mitschülern aufzunehmen. Allerdings sollen sie ihn nicht als jemanden erleben, den die Blindheit belastet. Im Gegenteil, er will die Stärke der Blindheit herausstellen.

Sehen zu können war die einfachste Sache der Welt, und so viele begnügten sich mit der oberflächlichen Erscheinung der Dinge (S. 293)

Der Protagonist des Romans ist John, der lernen muss, mit seiner Erblindung zu leben. Er erfährt Mitleid, falsche Fürsorge und Abhängigkeit. Aber sein Hauptproblem ist, dass er sich ständig unverstanden fühlt (auch schon vor der Erblindung) und dass er sich an die Illusion klammert, als Schriftsteller endlich richtig von seiner Umwelt gewürdigt zu werden. Darin ähnelt er Joans Vater, dessen Leben und Illusionen ebenfalls einen breiten Raum im Roman einnehmen.

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