Handke, Peter: Die Hornissen
Frankfurt : Suhrkamp, 1980
Deutsche Ersterscheinung: 1966
246 S.
Roman
Ein Mann erinnert sich an ein Buch. Er hat nur noch Fetzen der Handlung in Erinnerung, und um diese Teile dreht sich der Roman. Der Held des Buches ist blind, und es bleibt offen, ob es Erinnerungen an sein eigenes Leben oder an das Buch sind. Es findet immer wieder ein Wechsel zwischen den Personen statt (ich, er, man). In einem November während eines Krieges ist er erblindet. In demselben November ist ein Bruder ertrunken und ein anderer verschwunden. Später, als Erwachsener – er wohnt noch bei seinem Vater und dessen zweiter Frau – erinnert er sich: wie es damals im November war, oder wie es hätte sein können. Außerdem geht es immer wieder um den verschwundenen Bruder, um seine (erwartete) Rückkehr und um das Leben des blinden Manns in seiner Umgebung, in der viel verschwiegen wird und ihm auch manches unterschlagen wird, zum Beispiel ein Brief, von dem er meint, er sei von seinem Bruder. Immer wieder wird beschrieben, was der blinde Mann hört und welche Rückschlüsse er daraus zieht, und wie er sich Wege sucht (er benutzt auch einen Stock). Soweit wird scheinbar ganz reale Blindheit beschrieben. Die Blindheit ist Anlass, sich an die Geschichte zu erinnern, sie zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman, wird jedoch zwischendurch infrage gestellt. (S. 204). Entscheidender sind die unterschiedlichen symbolischen Bedeutungen der Blindheit:
Vor mir selber brauche ich mich nicht zu verstecken, weil ich mich selber nicht sehen kann, denn ich bin blind, das heißt, meine Augen sind blind, das heißt, meine Augen sind keine Augen, das heißt sozusagen, ich bin nicht. (S. 179)
In der fremden Mundart wird sowohl für einen, der blind ist, als auch für einen, der den anderen nicht sichtbar ist, dasselbe Wort verwendet. Niemand kann ihn von draußen sehen, weil er blind ist.
Niemand sieht das Gesicht des Blinden im Spiegel; wenn ein Geblendeter vor dem Spiegel steht, so steht niemand vor dem Spiegel. (S. 244)
Auch der Blinde kann sehen, was er will; weil er unsichtbar ist, wird ihn am Schauen niemand behindern. (S. 244)
In vielen Sachen ist gerade der Blinde ein Seher. Der Seher ist blind. (S. 245)