Baum, Oskar: Der Weg des blinden Bruno

in: Oskar Baum: Erzählungen aus dem Blindenleben
Prag : Vitalis, 1999
Ersterscheinung in: Neue Deutsche Erzähler, Leipzig, 1928
S. 9–62
Erzählung

In vier Kapiteln wird das Leben des blinden Bruno beschrieben. Das erste Kapitel beschreibt seine Kindheit bis zur Einschulung. Bruno wurde blind geboren. Seine Eltern sind wohlhabend, seine Mutter überschüttet ihn mit Fürsorge und möchte ihn am liebsten von allen Gefahren fernhalten. Ganz anders der Vater, er ist mit einem Blindenlehrer befreundet, der ihn viel in Erziehungsfragen berät. Die Mutter stirbt, als Bruno etwa neun Jahre alt ist. Nun verändert sich zu Hause alles. Er lernt sehende Nachbarskinder kennen und wird so mit seiner Blindheit konfrontiert. Der Tod der Mutter macht auch den Weg frei für eine Übersiedlung in eine Blindenanstalt.
Im zweiten Kapitel ist Bruno Schüler dieser Blindenanstalt. Er hat einige Probleme mit den Mitschülern, nicht aber mit dem Unterricht, das Lernen fällt ihm leicht, er ist zu Hause gut vorbereitet worden.
Im dritten Kapitel macht Bruno eine ganz neue Erfahrung. Der Portier der Blindenschule soll ihn zu einem Konzert begleiten. Auf dem Rückweg verschwindet der Portier in einer Kneipe, nur ganz kurz, wie er beteuert. Bruno wartet, bis ihn ein Mädchen anspricht. Er wundert sich, denn er kennt das Mädchen nicht, aber sie scheint so vertraut mit ihm zu sein, dass er mitgeht. Sie nimmt ihn mit auf ihr Zimmer, wo der jugendliche Bruno seine ersten sexuellen Erfahrungen macht. Zuerst hält er es für Liebe und plant schon, für beide den Lebensunterhalt mit Musikstunden zu verdienen. Doch dann merkt er, dass er nur einer von vielen ihrer Kunden war. Er ist traurig und erleichtert zugleich, als er abends wieder unbemerkt in den Schlafsaal kommt.
Im vierten Kapitel unternimmt Bruno seine erste Bergwanderung. Der Bergführer würde sich am liebsten weigern, aber Bruno bleibt dabei, er will die Tour machen. Unterwegs erzählt er dem Bergführer, wie sehr er das Gefühl braucht, Schwierigkeiten zu bewältigen und dass er gerade dabei ist, sich von einem Mädchen zu lösen, mit dem er sich beinahe verlobt hätte. Er will seine Unabhängigkeit erhalten, statt dieses liebe, sanfte Mädchen an sich zu binden. Auch während der Bergtour wehrt sich Bruno gegen jede unnötige Hilfe. Es kommt zum Streit zwischen ihm und dem Bergführer, als dieser an einer sehr schwierigen Stelle noch einen zweiten Führer hinzuziehen will. Oben auf dem Berg machen sie Rast. Bruno erzählt und erzählt, bis er merkt, dass ihm keiner mehr zuhört. Er gerät in Panik, glaubt schon, alles sei verloren, bis der Bergführer wieder auftaucht und sich für sein Verschwinden entschuldigt. Er habe nur Enzian gesucht.  

Bruno bestieg noch öfters Berge, auch höhere und schwierigere darunter, meist in größerer Gesellschaft und mit jenem Mädchen gemeinsam, das er bald darauf um Verzeihung bat für alles, was er ihr von seinen Gefühlen schuldig geblieben war. (S. 62)

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