Kehlmann, Daniel: Ich und Kaminski
Frankfurt : Suhrkamp, 2004
Erstveröffentlichung 2003
173 S.
Roman
Der Ich-Erzähler Sebastian Zöllner ist Kunstkritiker, der es nach einem abgebrochenen Studium auf Umwegen zum Kunstkritiker gebracht hat und sich für erheblich kompetenter hält als seine Kollegen. Er selbst möchte mit einem Buch über den blinden Maler Manuel Kaminski groß herauskommen. Kaminski ist ein alter Mann, der zurückgezogen in den Bergen lebt, kurz davor, vergessen zu werden. Aber Zöllner weiß, wenn der alte Maler stirbt, wird sich die Welt noch einmal an ihn erinnern, und wenn er, Sebastian Zöllner, genau dann eine Kaminski-Biografie herausbringt, hat er es als Kunstkritiker geschafft.
Kaminskis Erfolg fing vor vielen Jahrzehnten mit einem Interview an. Nach einer zunächst wenig beachteten Ausstellung seiner Werke sagte er damals:
„Ich werde nämlich blind. Das male ich. Und das ist alles.“ (S. 37)
Einige Zeit später wurde eines seiner Bilder auf einer anderen Ausstellung gezeigt.
Den Titel erweiterte man um den Zusatz Painted by al blind man und brachte daneben ein Bild von Kaminski mit dunkler Brille an. Als man ihm davon erzählte, ärgerte er sich so sehr, daß er sich ins Bett legen mußte und zwei Wochen unter fiebriger Grippe litt. Als er wieder aufstehen konnte, war er berühmt. (S. 38)
Zu dem Zeitpunkt konnte er zwar nach eigenen Aussagen noch sehen, aber die Preise stiegen ins Unermessliche, die großen Museen zeigten ihn. Sechs Jahre später gab es eine letzte große Ausstellung, danach zog er sich zurück.
Jahrzehnte später reist Zöllner zu Kaminski, doch dessen Tochter Miriam schirmt ihren Vater ab. Davon lässt Zöllner sich nicht abhalten, er drängt sich skrupellos in Kaminskis Privatleben und besticht die Haushälterin, ihn einen Tag mit dem alten Herrn allein zu lassen. Die Zeit nutzt er, um das Haus zu durchwühlen. Besonderes Interesse hat er an Kaminskis Liebesleben; er hat in Erfahrung gebracht, dass es in seinem Leben einmal eine Frau namens Therese gab, die dann verschwand. Freunde erzählten Kaminski damals, sie sei tot, aber Zöllner hat herausgefunden, dass sie noch lebt, und er möchte sie auch als Zeitzeugin befragen. Damit kann er zu Kaminski durchdringen.
Als Kaminski das hört, will er mit Zöllner unbedingt zu Therese, die an der Küste lebt. Sie nehmen Miriams Auto und fahren spontan los. Unterwegs wird ihnen das Auto gestohlen, sie besuchen eine Vernissage, begegnen Zöllners Exfreundin Elke. Zöllner, ein skrupelloser, manipulativer und ehrgeiziger Karrieremensch, erlebt, dass Kaminski nicht minder manipulativ und berechnend ist. Schließlich erreichen sie die Wohnung von Therese. Die Begegnung ist ernüchternd. Therese lebt ein gutbürgerliches Leben, an der Wand hängt ein kitschiges Bild von einem Hasen im Sonnenaufgang, das Zöllner sofort auffällt. Therese kann sich nur noch schwach an Kaminski erinnern.
Mittlerweile hat auch Miriam sie eingeholt und will ihren Vater wieder zurückholen. Zöllner und Kaminski entwischen ihr ein zweites Mal, denn Kaminski war noch nie am Meer und will es unbedingt sehen. Sie fahren zum Strand. Auf dem Weg dorthin gesteht Kaminski, dass er schon einen Vertrag mit einem anderen Kunsthistoriker gemacht hat, der über die entscheidenden Zeiten seines Künstlerlebens schreiben will.
Aber Zöllner nimmt es gelassen hin und wirft sein gesamtes Material, Notizen und Tonbandaufzeichnungen, ins Meer.
Gemeinsam machen sie sich über Thereses Wohnung lustig.
„Und dieser Sonnenaufgang.“
Ich nickte und rief mir die Szene zurück: das Wohnzimmer, die Tapeten, Holms Geschwätz, das freundliche Gesicht der Alten, das Gemälde im Flur. „Einen Moment. Wieso wissen Sie davon?“
„Wovon?“
„Sie haben mich verstanden. Wieso wissen Sie von dem Bild?“
„Ach, Sebastian.“ (S. 170)