Knipfel, Jim: Blindfisch
SLACKJAW, 1999
Reinbek : Rowohlt 2002
286 S.
Autobiografie
Jim Knipfel kommt mit der Nabelschnur um den Hals zur Welt und muss als Baby und Kleinkind Beinschienen tragen. Als er drei Jahre alt ist, merken seine Eltern, dass er schlecht sieht. Sie gehen mit ihm zum Augenarzt.
„Ekelhaft kurzsichtig“, sagte er mit dem rätselhaften Zusatz, auch meine Augäpfel seien komisch geformt. Von dem Moment an, da ich zu denken begann, verstand ich mich als abnorm. (S. 29)
Er entwickelt sich zu einem Außenseiter-Kind, die anderen Kinder hänseln ihn und reißen ihm die Brille vom Kopf. Er hält sich fern von ihnen, möchte gar nicht normal sein. Seine Situation spitzt sich zu, als er in die Pubertät kommt. Jim vergräbt sich in Bücher (Nietzsche, Camus, Sartre) und sucht regelmäßig Streit mit anderen, auch wenn er weiß, dass es zu nichts führt.
Später findet er Freunde, mit denen er viel trinkt, Tabletten nimmt und stiehlt. Sie gründen eine Partei, die möglichst sinnlos sein soll, und später eine Musikgruppe. Er lebt in billigen, heruntergekommenen Wohnungen, die er mit Aushilfsjobs finanziert. Jim unternimmt mehrere Selbstmordversuche. In dieser Zeit wird er häufig aggressiv und rastet aus. Er leidet selbst darunter und sucht einen Neurologen auf. Dieser findet eine Ursache.
„Das ist Narbengewebe“, sagte er, „direkt da, wo so komische Emotionen wie Wut sind. Sie haben eine Form der Epilepsie, die sich in Wutanfällen äußert.“ (S. 129)
Er erhält Medikamente, mit denen er ein „halbwegs normales Leben“ führen kann. Dabei zieht er immer wieder Menschen an, die ausgesprochen skurril sind oder Wahnvorstellungen haben. Jim heiratet, seine Ehe hält nicht lange, da seine Frau seinen Lebensstil nicht erträgt. Eine Zeitlang kann er für eine Zeitung Kolumnen schreiben, aber das Geld reicht nicht zum Leben. Er nimmt verschiedene Nebenjobs an, die ihn nicht befriedigen. Sein Versuch, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, scheitert ebenfalls an seinem Sozialverhalten.
Im Laufe der Jahre nimmt auch seine Sehbehinderung zu, als junger Erwachsene bekommt er die Diagnose Retinitis pigmentosa.
Im letzten Drittel des Buches rückt die Erblindung in den Mittelpunkt. Er beschreibt seine Kontakte mit Sozialarbeitern und Mobilitätslehrern, deren Hilfe er oft nicht wirklich will und von denen er sich nicht immer verstanden fühlt.
Er schließt mit der Erkenntnis, dass ihn die Blindheit nicht sonderlich stört, er versteht sie als „ausgleichende karmische Gerechtigkeit. (…)“ (letzte Seite)
Das Blindsein ist nur ein Festwagen von vielen im Umzug der Verrücktheiten, in dem ich mein Leben lang mitmarschiert bin. (letzte Seite)
Sein deutscher Verlag versteht ihn als „blinden Seher“.
Jim Knipfel ist der blinde Seher im modernen Gewand. Konfrontiert mit der unausweichlichen Wahrheit einer unheilbaren Krankheit, die ihm langsam das Augenlicht raubt, sieht er überall die Lüge. Die Lüge der einem blinden Gesundheitswahn verfallenen Gesellschaft (…). „Blindfisch“ ist das Gegenteil einer therapeutischen Krankengeschichte – es ist ein grotesker Aufschrei dessen, der hinter dem Schein, den er immer weniger zu sehen vermag, das wahre Sein erkennt. (Klappentext)