LaBan, Elizabeth: So wüst und schön sah ich noch keinen Tag

TRAGEDY PAPER
München : Carl Hanser, 2013
283 S.
Jugendroman

Die Rahmengeschichte: Duncan, ein eher unscheinbarer, introvertierter Junge, der sich hauptsächlich für Mathematik interessiert, beginnt sein letztes Jahr an der Highschool (privates Internat). Er weiß, dass er in diesem eine Hausarbeit zum Thema Tragödie verfassen soll, eine Herausforderung, die ihn belastet.
An dieser Schule ist es Tradition, dass die Schulabgänger des vorherigen Jahres ihren Zimmernachfolgern ein Geschenk hinterlassen. Duncan findet zahlreiche CDs und einen Brief, in dem Tim, der vorherige Bewohner, schreibt, dass er extra für Duncan seine Geschichte aufgeschrieben hat. Schon in der ersten Ankündigung erfährt Duncan, dass ihm die CDs sicher bei seiner Arbeit zum Thema Tragödie weiterhelfen werden.
In seinem Brief schreibt Tim, dass er erst das letzte halbe Jahr vor seinem Highschool-Abschluss an dieses Internat kam. Sein Stiefvater, ein Ehemaliger, schwärmte davon und meinte, es würde Tim guttun. Tim hat Albinismus und fühlte sich sein Leben lang als Außenseiter, weil offenbar keiner seiner Mitmenschen mit seinem Aussehen zurechtkam. Die Reise ins Internat beginnt mit Hindernissen, sein Flug fällt aus, seine Mutter besorgt ihm ein Zimmer in einem überfüllten Hotel. So lernt er Vanessa kennen, die ebenfalls gestrandet ist und ihn bittet, ihn mit in sein Zimmer zu nehmen. Sie verbringen einen lustigen Abend miteinander, er schläft anschließend in der Badewanne, um ihr nicht zu nahe zu treten.
Im Internat treffen sie sich wieder, Vanessa ist die Freundin von Patrick, einem rücksichtslosen Egoisten, der aber das Alphatierchen des Jahrgangs ist. Tim weiß, dass er keinerlei Chancen gegen Patrick hat, aber er bleibt trotzdem heimlich in Vanessa verliebt. Sie nährt auch seine leisen Hoffnungen, ohne von Patrick abzulassen.
In der ersten Hälfte des Buches hat Tim keine Probleme mit dem Sehen, er braucht lediglich eine Sonnenbrille, weil seine Augen blendempfindlich sind. Weil er mit einer Sonnenbrille nicht noch mehr auffallen will, lässt er sie weg. Das rächt sich. Nach einem Spaziergang mit Vanessa ohne Sonnenbrille kann er nachts kaum schlafen. Immer wieder wecken ihn stechende Schmerzen in den Augen. Zunehmend tauchen Sehstörungen auf, erst sporadisch, dann immer öfter.

Meine Augen machten mir in der letzten Zeit wieder mehr Probleme. Mal fokussierten sie, mal nicht und ich verlor viel Zeit, weil ich warten musste, bis ich einen Text lesen oder Zahlen klar erkennen konnte. Doch an jenem Tag konnte ich wunderbar sehen. (S. 176 f.)

Tim erlebt sogar Momente, in denen er absolut nichts sieht und schlimme Kopfschmerzen hat. Eines Tages geht er zur Schulkrankenschwester, die ihm einen Termin beim Augenarzt empfiehlt und ihm Schmerztabletten gegen die Kopfschmerzen gibt. Sie fragt auch kritisch nach, ob er seine Brille getragen habe. Die Tabletten helfen ihm. Aber die Sehstörungen kommen immer wieder, sehr deutlich wird dies bei einer heimlichen nächtlichen Schlittenfahrt. Er ignoriert es, denn er hat Vanessa auf seinem Schlitten. Dann sieht er gar nichts mehr.

Sekunden vor dem Aufprall versagten meine Augen völlig. Ich sah gar nichts mehr, nicht einmal mehr Schatten oder die Lichter der Taschenlampen. Vanessa schrie voller Angst und klammerte sich an mich. Ich spürte, wie unser Schlitten mit voller Wucht gegen etwas Hartes prallte. Danach war es ganz still. (S. 308)

Ich hörte, wie sie sich untereinander besprachen. Sie waren sich nicht sicher, meinten aber, da ich nichts sehen konnte, müsse ich mit dem Kopf aufgeprallt sein. Ich habe ihnen nicht gesagt – und auch sonst niemandem – dass der Unfall nicht an meiner Erblindung schuld war, sondern dass im Gegenteil die Blindheit den Unfall erst verursacht hat. (S. 312)

Etwas später verlässt Vanessa die Schule, Tim kehrt noch einmal für zwei Monate dorthin zurück.

Laut Mr. Bowersox hatte es schon einmal einen blinden Schüler an der Schule gegeben. Ich würde mir nach und nach jede Menge neuer Fertigkeiten aneignen müssen: mich im Haus bewegen, Blindenschrift lesen, auf einer speziellen Tastatur schreiben. Bisher nutze ich noch ein ganz normale, und es konnte passieren, dass ich mit der falschen Taste begann und am Ende nur unverständliches Zeug dastand, doch meistens klappte es ganz gut. Glaube ich wenigstens. (S. 316)

Die Ursache für seine Sehstörungen erschließt sich den Lesern und Leserinnen nicht überzeugend. Ursprünglich hat Tim keine erkennbaren Seheinschränkungen, dann folgen Sehstörungen, die mit dem hochdosierten Aspirin erklärt werden. Die sollten gegen die Kopfschmerzen helfen, haben aber als Nebenwirkung innere Blutungen ausgelöst.
Im Nachwort schreibt die Autorin, dass sie eine moderne Tragödie schreiben wollte.

Ich wusste, Tim musste ein Außenseiter sein, und zwar nicht nur deswegen, weil er neu an die Schule kam. Er sollte ein Problem haben, mit dem er Tag für Tag fertigwerden musste, gleichzeitig aber ein normales Leben führen könnte. (S. 346, Nachwort der Autorin)

Deshalb wählt die Autorin für die tragische Rolle einen Jungen mit Albinismus, der im gesamten Roman „der Albino“ genannt wird.
Diese „Tragödie“ wird schon Rahmenhandlung angekündigt, denn Tim schreibt in seinem Brief, dass sein „Geschenk“, seine Geschichte Duncan bei seiner Hausaufgabe helfen kann.

 

 

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