Lenz, Siegfried: Die Augenbinde

Reinbek : Rowohlt, 1980
Deutsche Ersterscheinung 1969
100 S.
Szenisches Werk


Eine Gruppe von Wissenschaftlern gerät auf einer Expedition in ein Land, in dem alle Bewohner blind sind. Die blinden Einwohner nehmen sie gefangen, aber die Expeditionsteilnehmer fühlen sich zunächst nicht in Gefahr, es sind ja „Blinde“, denen sie sich überlegen glauben. Dann werden sie von dem blinden Bürgermeister vor die Wahl gestellt: entweder sie bleiben Gefangene und dürfen das Haus nicht verlassen oder sie entschließen sich, Augenbinden zu tragen und als „Blinde“ frei unter den blinden Einwohnern zu leben. Zurück dürfen sie jedoch nicht, dazu haben sie schon zu viel von der Gesellschaft erforscht, und auch als Sehende dürfen sie nicht in der blinden Bevölkerung leben. Keiner der Expeditionsteilnehmer ist bereit, auf diese Forderungen einzugehen, auch wenn alle Mitglieder der Gesellschaft ihnen versichern, dass sie mit ihrer Blindheit besonders glücklich seien. Mircea, der Sohn des Bürgermeisters, trägt ebenfalls eine Binde, da er durch einen Unfall auf einem Auge sehend geworden ist. Auch seine Schwester war eine Zeitlang sehend und wollte das geheim halten, doch sie hielt es nicht aus.
Nach und nach werden fast alle Expeditionsteilnehmer blind, die einen, weil sie nachgeben, und die anderen, weil ihnen wegen Übertretung der Gesetze die Hornhäute mit Kalk verätzt werden. Zuletzt bleibt nur noch Carla, die Tochter des Expeditionsleiters, sehend. Sie erkennt, dass sie sich in den Teilnehmern getäuscht hat, in ihrem Mann, den sie für zuverlässig hielt und der als Erster bereitwillig die Binde annahm, und in Alf, ihrem Jugendfreund, den sie für egoistisch und oberflächlich hielt und der nun zu ihr hält und nur durch eine Operation blind gemacht werden kann. Sie stellt aber auch fest, dass die Mächtigen unter den blinden Einwohnern nicht alle wirklich blind sind, und sie kann dies auch beweisen. Mircea, der in seiner Binde bislang das große Glück sah, reißt sich die Binde daraufhin ab und rebelliert gegen seinen Vater. Er wird abgeführt.
Zurück bleiben Carla und Alf, der zwar versucht, als blinder Mensch zurechtzukommen, sich aber ebenso wenig wie Carla fügen will.
Die vom Bürgermeister und vom Gesetz verordnete Blindheit gewinnt zunehmend an symbolischer Bedeutung, die Bürger sollen durch künstliche Unwissenheit in ebenso künstlicher Zufriedenheit gehalten werden. Als Parallele erzählt Alf die Geschichte eines Königs, der seinem Volk Glückspillen verordnet hat.

 

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