Lépic, Alex: Lacroix und der blinde Buchhändler von Notre-Dame
Zürich : Kampa, 2022
203 S.
Roman
Lacroix, der Held dieser Buchreihe, ist ein erfolgreicher und bekannter Pariser Kriminalkommissar, sein Spitzname ist Maigret.
In dieser Folge geht er auf dem Weg zur Arbeit an der Seine entlang, er hat es nicht eilig und sieht sich die Stände der Buchhändler (Bouquinisten) an. Dabei spricht ihn einer der Bouquinisten an und empfiehlt ihm ungefragt einen Krimi von Georges Simenon. Lacroix ist verärgert, weil ihn schon ganz Paris mit Maigret gleichsetzt. Aber der Buchhändler meint, er habe ihn gar nicht erkannt und könne ihn gar nicht erkennen.
Er nahm die Brille ab, und Lacroix sah in seine ausdruckslosen und glasigen Augen, die an ihm vorbei in Richtung Boulevard blickten. (S. 10)
Lacroix fragt ihn, wie er dann auf die Buchempfehlung kam, und der Buchhändler antwortet, er habe am zielsicheren Schritt erkannt, dass Lacroix kein Tourist ist, und er hat gerochen, dass er viel mit Papier, wahrscheinlich Akten, zu tun hat. Auch hat er bemerkt, dass Lacroix die Standnachbarin Agathe beobachtet hat, sich also für Menschen interessiert und vermutlich Menschenkenntnis hat. Deshalb hielt er einen Roman über Maigret für angemessen.
Lacroix unterhält sich noch eine Weile mit dem Buchhändler, der Hugo heißt. In den folgenden Tagen hat Lacroix immer wieder mit ihm zu tun, weil er den Mord an einem jungen Bouquinisten aufklären muss. Dabei erfährt er, dass der blinde Buchhändler eine Legende ist. Zum einen, weil er zwar nichts sieht, aber „(…) in die Seelen der Menschen blicken kann.“ (S. 94)
Deshalb kann er ihnen immer passende Bücher empfehlen, was allen imponiert. Aber Hugo war schon vor seiner Erblindung (Netzhautablösung) berühmt unter den Bouquinisten, denn als junger Mann kannte er Hemingway persönlich. Er war ihm ein väterlicher Freund und schenkte ihm eine Shortstory, die erst sein ganzer Stolz war und die er dann an seine Freundin weiterverschenkte. Die Freundin trennte sich von ihm und mit ihr verschwand die Geschichte von Hemingway. Aber im Bewusstsein der Buchhändler spielt sie noch eine große Rolle, weil sie Hugo für die Nähe zu diesem berühmten Autor bewundern.
Lacroix findet heraus, dass diese Geschichte auch der Schlüssel zur Aufklärung des Falls ist. Das Mordopfer hatte die Short Story wenige Tage vor seinem Tod bei einer Wohnungsauflösung gefunden, seinen Kollegen davon erzählt, sie aber niemanden gezeigt. Die anderen waren nur erstaunt, weil der junge Mann seinen Fund nicht zu Geld machen wollte. Agathe, die Standkollegin von Hugo, die ihn jahrelang einseitig liebte und ihn jahrzehntelang unterstützte, glaubte ein Anrecht auf die Geschichte zu haben und wollte sie dem jungen Mann abkaufen. Der weigerte sich zu verkaufen und im Gerangel stürzte der junge Buchhändler unglücklich. Statt ihm zu helfen, warf Agathe ihn in die Seine.
Lacroix hat aber am Ende nicht nur den Fall aufgeklärt, sondern auch sämtliche Lebenslügen des berühmten blinden Hugo. Er hatte Hemingway einseitig bewundert und seine Nähe gesucht, aber Hemingway hatte ihn nie beachtet. Die Geschichte hatte Hugo selbst geschrieben. Das war lange Zeit niemandem aufgefallen, bis der junge Kollege, der ein Hemingway-Kenner war, sie fand. Deshalb wollte er sie nicht verkaufen. In diesem Zusammenhang wird noch eine zweite Lebenslüge aufgedeckt. Seine Fähigkeiten als blinder Seher waren nur gespielt – es war die ihm treu ergebene Agathe, die ihm die Informationen zuflüsterte.