Little, Jean: Ein Leben wie ein Roman
LITTLE BY LITTLE, 1987
Hamburg : Carlsen, 1991
211 S.
Autobiografischer Roman für Kinder
In diesem autobiografischen Roman beschreibt die Autorin ihr Leben, angefangen bei dem Tag, an dem sie von einem anderen Kind erfährt, dass sie nichts Gefährliches machen darf, weil sie sehbehindert ist.
Jean, über deren Sehbehinderung zu Hause nie geredet wurde, glaubt ihrer Freundin nicht und beide Mädchen laufen zu Jeans Mutter.
Mutter antwortete, ohne zu zögern. Ich höre heute noch ihre Worte, die meine Welt zusammenstürzen ließen. „Du hast wirklich schlechte Augen“, sagte sie, „aber das macht nichts. Lauf nur und klettere auf deinen Baum.“ (S. 9)
Später beschreibt die Mutter nach und nach genauere Details. Sie hatte in der Schwangerschaft eine Infektion, genau in der Zeit, als sich Jeans Augen entwickelten. Jeans Hornhäute sind vernarbt und ihre Pupillen sind exzentrisch, sie schielt.
Die ersten Jahre ihres Lebens verbringt Jean in Südostasien, wo ihre Eltern Missionsärzte sind. Später zieht ihre Familie nach Kanada. Jean besucht dort zunächst eine Sonderschule für sehbehinderte Kinder. In der Schule fühlt sie sich sehr wohl. Die Lehrer sind um jedes Kind bemüht und alle Kinder haben ähnliche Probleme. Doch außerhalb der Sehbehindertenklasse wird sie viel gehänselt. Nach einem Ortswechsel müssen sich die Eltern entscheiden, ob Jean eine Blindenschule oder eine Regelschule besuchen soll. Die Lehrerin setzt sich dafür ein, dass sie eine Regelschule besucht.
„In Brantford wird sie sich bald als blindes Kind fühlen“, hielt sie uns vor Augen. „In einer normalen Klasse wird sie mit dem Gedanken aufwachsen, daß sie die Dinge wahrnehmen kann und sich in der sichtbaren Welt zurechtfinden wird, und das ist schließlich die Welt, in der sie leben wird, wenn die Schulzeit vorbei ist.“ (S.73)
Die ersten Jahre dort sind sehr schwer für sie. Die anderen Kinder nenne sie „Schielliese“ und lachen über die Missgeschicke, die ihr passieren. Sie ist Außenseiterin; trotz aller Ermahnungen der Mutter schafft sie es lange Zeit nicht, mit dem Gespött der Kinder umzugehen. Erst spät lernt sie, dem etwas entgegenzusetzen.
„Schielliese, Schielliese“, sang er und wartete darauf, daß ich floh, so daß er mich jagen und mich mit festgedrückten Schneebällen eindecken konnte. Stattdessen ging ich auf ihn zu.
„Ich schiele nicht“, sagte ich klar und deutlich. „Ich habe eine Cornea-Trübung und Strabismus.“ Dabei starrte ich ihn durchdringend an, schielend wie eh und je. Aber er war so überrascht, daß er mit offenem Mund stehen blieb.“ (S. 107 f.)
Ihre Probleme sind damit noch nicht gelöst, aber im Laufe der Zeit gewinnt sie wirkliche Freundinnen.
Jean liebt fantasievolle Romane und Gedichte, sie beginnt selbst zu schreiben. Ihr Vater unterstützt sie kritisch. Eine Weihnachtsgeschichte erscheint sogar in der Zeitung, das gibt ihr viel Selbstbewusstsein. Nach der Schule studiert sie Literatur, obwohl viele zweifeln, ob sie dies in der festgesetzten Zeit schafft. Sie möchte es zumindest versuchen und schafft es, angespornt durch ihren Vater.
Nach dem Studium arbeitet sie als Lehrerin in einer Sonderschule für körperbehinderte Kinder. Sie liest ihren Schülern viel vor und ist immer auf der Suche nach geeigneten Büchern. Sie möchte ihnen auch Bücher über behinderte Menschen vorlesen.
Ich hatte nicht vor, meine Schüler nur Geschichten über behinderte Kinder lesen zu lassen. Ich wußte, daß sie sich mit normalen Kindern in den Büchern völlig gleichsetzen konnten, und sie brauchten bestimmt kein Buch, um sich anzupassen. Allerdings war ich der Meinung, daß versehrte Kinder ein Recht hatten, ihresgleichen in Romanen zu finden und wiederzuerkennen. (S. 205)
Sie macht sich auf die Suche, aber die meisten Bücher sagen ihr nicht zu.
Ich suchte nach einem Buch, in dem die Behinderung nur nebenbei zur Sprache kommt. Denn meinen Schülern war ihre Behinderung die meiste Zeit gar nicht bewußt. (S. 205)
Allmählich machte es mich ärgerlich, daß es offenbar nie einen glücklichen Schluß ohne Wunderkur geben konnte. Warum gab es keine Geschichte über ein Kind, das den Kindern meiner Klasse gliche? (S. 206)
Dies ist für sie Anlass, ihr erstes Buch über ein behindertes Kind zu schreiben. Mit der Veröffentlichung dieses Buchs endet der autobiografische Roman.