Lusseyran, Jacques: Das wiedergefundene Licht
ET LA LUMIÈRE FUT, 1963
Frankfurt, Berlin, Wien : Klett-Cotta im Ullstein Taschenbuch, 1983
285 S.
Autobiografie
Jacques Lusseyran wird 1924 in Paris geboren, mit acht Jahren erblindet er durch einen Unfall. Er wird in der Schule von anderen Kindern angerempelt, fällt und ein Brillenbügel bohrt sich in ein Auge. Da auch das andere Auge beschädigt ist, werden ihm beide entfernt.
Lusseyran empfindet es als großes Glück, schon als Kind erblindet zu sein, denn das macht es ihm leichter, sich auf die neue Situation einzustellen.
Ein kleiner Mann von acht Jahren hat noch keine Gewohnheiten, weder geistige noch körperliche. Sein Körper ist noch unbegrenzt biegsam, bereit, eben jene – und keine andere – Bewegung zu machen als die die, welche ihm die Situation nahelegt, er ist bereit, das Leben anzunehmen, o wie es ist, zu ihm Ja zu sagen. (S. 16)
Schon nach wenigen Wochen geht er wieder mit seinen Eltern spazieren, lernt die Brailleschrift und turnt mit den anderen Kindern. Er hat auch nicht das Gefühl, nicht zu sehen.
Anstatt mich hartnäckig an die Bewegung des Auges, das nach außen blickte, zu klammern, schaute ich nunmehr von innen auf mein Inneres (S. 19)
Wie sollte ich zum Beispiel erklären, wie Gegenstände sich mir näherten, wenn ich auf sie zuging. Atmete ich sie ein, hörte ich sie? Vielleicht. Was es auch war – es nachzuweisen war oft schwer. Sah ich sie? Augenscheinlich nicht. Und doch! Sie veränderten sich für mich in demselben Maße, wie ich näher kam, oft sogar so sehr, daß sich – wie beim Sehvorgang – echte Konturen abzeichneten, daß sich im Raum eine wirkliche Form abhob und einzelne Farben sich erkennen ließen. (S. 34)
Töne, Akkorde, Melodien, Rhythmen, alles verwandelte sich sofort in Bilder, krumme und gerade Linien und vor allem in Farben. (S. 92)
Seine Eltern entschließen sich, ihn in eine Regelschule zu schicken. Er ist ihnen für diese Entscheidung dankbar, da er grundsätzlich jede Sonderbeschulung für blinde Kinder ablehnt.
Seine Mutter übt regelmäßig mit ihm, sodass er alles, was er an der Tafel und den Karten nicht sieht, trotzdem lernt. Außerdem besorgen ihm seine Eltern Hilfsmittel, zum Beispiel für den Mathematikunterricht. Er wird ein guter Schüler, lernt sich viele Dinge im Kopf vorzustellen und entwickelt ein hervorragendes Gedächtnis. In der Schule findet er immer Freunde, die ihn unterstützen und führen. Seine Blindheit empfindet er eher als Hilfe, da er so vor schlechtem Umgang bewahrt wird; schließlich würden schlecht erzogene und herzlose Jungen den Umgang mit einem blinden Jungen meiden. Den größten Teil der Zeit verbringt er mit seinem besten Freund Jean, die Freundschaft leidet auch nicht, als sie sich in das selbe Mädchen verlieben. Die Liebe bleibt schwärmerisch-platonisch.
Lusseyrans überwiegend glückliche Kindheit findet ein Ende, als die Deutschen Frankreich besetzen. Jacques ist nicht bereit, sich mit den Nazis zu arrangieren, und gründet eine Widerstandsgruppe unter den Jugendlichen. Seine Freunde warten nur darauf, dass er die Initiative ergreift, neue Mitglieder zu rekrutieren.
Das sei mein Fach, meine Spezialität. Ich hätte, so sagten sie, das „Gefühl für Menschen“ (S. 159)
Nur einmal unterläuft ihm ein Fehler. Er hat bei einem neuen Mitglied ein schlechtes Gefühl – die Stimme, der Händedruck, alles gefällt Jacques nicht wirklich, aber er lässt sich von anderen überzeugen, ihn in die Gruppe aufzunehmen. Der Student verrät danach die ganze Gruppe.
Im letzten Teil beschreibt Lusseyran die Zeit im Gefängnis und im KZ Buchenwald. Er schildert die vielen Grausamkeiten, die die meisten Häftlinge nicht überleben. Nach einer schweren Krankheit, von der keiner glaubt, dass er sie überlebt, kommt für ihn ein Wendepunkt. Er macht eine religiöse Erfahrung.
Aus der Tiefe meines Erstaunens stammelte ich Namen, oder nein, ich sprach sie sicher nicht aus, sie erklangen von selbst: „Vorsehung, Schutzengel, Jesus Christus, Gott.“ Ich versuchte nicht, nachzudenken. Für Metaphysik war noch viel Zeit. Ich sog an der Quelle. Und dann trank ich, noch und noch. Diesen himmlischen Fluß wollte ich nicht lassen. Ich erkannte ihn übrigens gut wieder: Er war bereits einmal zu mir gekommen, gleich nach dem Unfall, als ich merkte, daß ich blind war. (S. 259)
Danach kann er das Leid im Lager besser ertragen und auch die Mithäftlinge respektieren ihn mehr. Er wird zur Autorität im Lager. Die Autobiografie endet mit der Befreiung des Lagers durch die Amerikaner.