Mannin, Ethel: Glocken in der Dämmerung
CURFEW AT DAWN, 1962
Berlin : Lothar Blanvalet, 1966
358 S.
Roman
Gavin ist vierzehn, als sein Vater stirbt. Zu seiner Mutter, die in London lebt, hat er ein distanziertes Verhältnis. Das wird nicht besser, als sie ein knappes Jahr nach dem Tod ihres Mannes einen reichen Geschäftsmann heiratet. Sein Stiefvater würde es unterstützen, wenn Gavin eine leitende Stelle in seiner Firma übernähme, aber Gavin interessiert sich ausschließlich für Literatur. Das können weder die Mutter noch der Stiefvater verstehen. Gavins wichtigste Bezugspersonen sind seine Großeltern und seine Cousine Maureen. Sie leben in Irland, wo Gavin regelmäßig einen Teil seiner Internatsferien verbringt.
Bei einem dieser Besuche erkrankt er an einer Hirnhautentzündung. Als er nach längerer Zeit zu sich kommt, kann er weder sehen noch hören.
Seine Großmutter schreibt ihm in die Hand, dass er krank war, und macht ihm Hoffnung auf spezialisierte Ärzte in London.
Er schrie verzweifelt: „Werde ich je wieder sehen können? Ich muß! Ich kann so nicht leben! Lieber möchte ich sterben!“ (S. 23)
Nach einigen Wochen nimmt ihn seine Mutter mit nach London, obwohl er lieber in Irland geblieben wäre. In London ist er unglücklich, keiner der Spezialisten kann ihm helfen. Die Mutter und der Stiefvater scheuen keine Kosten, aber sie finden auch keinen Draht zu ihm. Gavin empfindet die Bemühungen der Mutter, mit ihm in Kontakt zu treten, als unbeholfen. Sie zieht sich ratlos und verärgert zurück, weil er nichts zu ihren Bemühungen beiträgt.
Die Mutter und der Stiefvater empfinden Gavins Anwesenheit immer mehr als Ballast, auch wenn sie es sich nicht eingestehen. Wenn sie Besuch haben, können sie ihn schlecht ausschließen. Am Anfang sind alle sehr höflich, aber niemand weiß, wie er mit ihm kommunizieren soll.
Dann lernt er Mrs. Clare Williams kennen, sie erscheint im Auftrag der Fürsorge und bringt ihm das Fingeralphabet bei, mit dem er sich viel schneller verständigen kann. Sie vermittelt ihm auch den Punktschriftlehrer Laurence Oakes. Anfangs sind die Eltern nicht sehr angetan von dem neuen Privatlehrer, seine Haare sind zu lang und er hat eine große Narbe im Gesicht. Aber Gavin mag ihn, denn sie haben ähnliche Interessen und mögen dieselben Dichter. Deshalb beschließt der Stiefvater, ihn als Vollzeitbetreuer anzustellen. Laurence lehnt erst ab, weil er mehreren Menschen helfen will und es nicht seiner Lebenseinstellung entspricht, sich ausschließlich um einen reichen Jungen zu kümmern. Aber dann merkt er, dass der sensible Gavin ihn mehr braucht als andere und dass auch er Gavin braucht. Der Gedanke erschreckt ihn, aber er nimmt die Stelle an.
Sie beziehen ein einsames Häuschen und Lawrence schirmt Gavin von allen Mitmenschen ab. Gavin schreibt Gedichte, die Laurence bei einigen Zeitungen unterbringt. Als ein Reporter herausfindet, dass Gavin taubblind ist, interessiert sich die Öffentlichkeit für ihn. Gavin gefällt das, aber Lawrence nicht. Er begründet seine Abneigung gegen das mediale Interesse mit dem Schutz von Gavins Privatsphäre und einem respektvollen Umgang mit seiner Behinderung. Gavins Fernsehauftritte vergleicht er mit Zirkusbesuchen.
Doch Lawrence kann den Prozess nicht stoppen, und schließlich wird Kay, Reporterin bei einer Boulevardzeitung, auf Gavin aufmerksam. Die ganze Familie ist entsetzt und will einen Keil zwischen beide treiben. Aber sie können langfristig nicht verhindern, dass Gavin und Kay ein Liebespaar werden. Nur Gavins Cousine fragt, was an dieser Beziehung so schlimm sein soll. Ihr Argument ist, dass andere Menschen auch keine Garantie auf dauerhaftes Liebesglück hätten. Lawrence antwortet, dass Gavin als doppelt behinderter Mensch Opfer einer gewissenlosen Frau ist und als sensibler Dichter vor Enttäuschungen bewahrt werden muss.
Dabei ist Lawrence, der nach eigenen Angaben nicht homosexuell ist, selbst in Gavin verliebt. Er lauert Kay bei einem Bad im Meer auf, taucht unter ihr durch und ertränkt sie. Die Polizei hält es für einen tragischen Badeunfall.
Später arrangiert er eine Ehe zwischen Gavin und seiner Cousine. Als das erste Kind geboren wird, ertränkt sich Lawrence selbst.
In diesem Roman ist zunächst Gavin die Hauptperson, seine Taubblindheit scheint das zentrale Thema zu sein. Nach und nach wird jedoch Lawrence zur Hauptperson, thematisiert werden seine lieblose Kindheit, seine kriminelle Vergangenheit und sein Versuch, sich über diese Beziehung zu retten.
„Ich hatte die feste Absicht, durch selbstloses Dienen meine Vergehen zu sühnen. Doch es gelang mir nicht, weil der Zeitpunkt kam, an dem ich um meinetwillen mit Gavin zusammenleben wollte, nicht um ihm zu helfen.“ (S. 347)