Nieritz, Gustav: Der blinde Knabe
Reutlingen : Ensslin & Laiblin, 1932
deutsche Ersterscheinung Mitte 19. Jahrhundert
96 S.
Kinderroman
Die Familie Tube ist sehr arm. Der Vater ist verstorben, die Mutter hat Gicht und kann sich kaum bewegen. Lenchen, die Tochter, muss den Haushalt versorgen. Außerdem hilft das Mädchen noch anderen Leuten, um sich etwas Essen und die Miete für die armselige Wohnung zu verdienen. Ihr kleiner Bruder Raphael ist als Kleinkind erblindet. Er wird als ein Kind mit „schlaffen Lebensgeistern“ (S. 23) bezeichnet und verbringt die Tage in der düsteren Wohnung; seine einzige Tätigkeit ist das Zupfen von Seidenflocken. Der Junge ist schüchtern und ängstlich, er versteckt sich, wenn Besuch kommt, und auch die Besucher erschrecken.
Es liegt etwas Grauenhaftes in einem solchen Anblicke. Zwar sind die Augen von Blinden wie bei jedem Menschen gebildet; allein der Widerschein des im Menschen verborgenen Gottesgeistes geht ihnen ab. Sie gleichen ausgebrannten Schlacken. Sie sind lebendig und doch tot. (S. 16)
Mit der Familie geht es immer weiter bergab, denn es gibt Menschen, die ihnen Böses wollen, sie verleumden und ihnen ihren letzten Besitz nicht gönnen. Aber die Tubes erdulden ihr Schicksal, immer bemüht, ehrlich und sittsam zu bleiben.
Eines Tages wendet sich das Blatt, sie finden einige Gönner, die, angerührt durch die Tugend und Demut, der Familie helfen. Während einer Kur lernen die Geschwister den berühmten Leibarzt eines Fürsten kennen, der Raphael operiert. Er sieht nun wieder, und mit ihm lernen auch die Mutter und Lenchen die Welt neu sehen. Reumütig erkennen sie, wie gleichgültig und undankbar sie bisher Gottes Schöpfung betrachtet haben. Raphael wird später ein berühmter Maler.