Safire, William: Der Anschlag
FULL DISCLOSURE
Hamburg : Hoffmann und Campe, 1978
673 S.
Roman
Ein amerikanischer Präsident, Sven Ericson, ist nach einem Attentat erblindet.
Schon früher einmal war er während eines Wahlkampfes für zwei Tage lang blind. Damals hatte er sich im Zug bei einer Vollbremsung den Kopf gestoßen, während er mit seiner Pressefotografin schlief. Der Vorfall war damals verschwiegen worden, auch aus dem engsten Mitarbeiterkreis wussten nur wenige davon. Doch diesmal ist es anders, die Sehkraft stellt sich nicht wieder ein. Der Präsident muss der Öffentlichkeit sagen, dass er blind ist, aber er versucht es herunterzuspielen und deutet an, dass sich sein Zustand bessern könnte. Nun setzt ein Machtkampf innerhalb der Regierung ein. Bannermann, Finanzminister und Gegner Ericsons, will Ericson wegen Unfähigkeit entmachten und seinen Favoriten, den von ihm abhängigen Vizepräsidenten, einsetzen lassen. Ericsons Anhänger wollen um jeden Preis verhindern, dass Bannermanns Leute an die Macht kommen. Sie versuchen zu beweisen, dass Ericson sehr wohl in der Lage ist, das Amt zu bekleiden. Deshalb wird ein späterblindeter Psychologe engagiert, der im Schnellverfahren Ericson helfen soll, sich zurechtzufinden und die Erblindung psychisch zu verarbeiten.
Doch nicht die Umstellung steht im Mittelpunkt des Romans, sondern der Machtkampf, die internationalen Verwicklungen und Missverständnisse. Ericson gelingt es knapp, die Macht zu behalten, doch ihm selbst kommen Zweifel, ob das richtig ist. Besonders nachdenklich wird er durch folgendes Erlebnis: Er geht ins Bett und glaubt, dort eine Frau vorzufinden, mit der er seit einigen Wochen schläft – eine schwedische Krankenschwester, die die „schweigsame Samariterin“ genannt wird. Er schläft auch an diesem Abend mit ihr. Nach dem Verkehr will er sich wie gewohnt von ihr massieren lassen, aber die Massage bleibt aus. Nun wird er stutzig und bemerkt noch einige andere Veränderungen an ihr. Die Frau fängt an zu reden und es wird deutlich, dass es sich um seine Sekretärin handelt, die das Parfüm der Krankenschwester benutzt hat.
„Aber es macht auch deutlich, wie blind ein Blinder wirklich ist.“ Er dachte noch eine Weile darüber nach, während sie sich wieder neben ihm ausstreckte. „Ich bin in der Tat auf Eindrücke angewiesen, die mir von anderen vermittelt werden. Es ist eben nicht so schwer, einem Blinden etwas vorzumachen – und noch leichter für einen Blinden, sich selbst etwas vorzumachen.“ (S. 643)
Mithilfe seiner politischen Freunde findet er eine Lösung, die er akzeptieren kann. Der Vizepräsident wird zum Rücktritt gebracht und danach tritt Ericson selbst zurück, sodass ein dritter, von Bannermann unabhängiger Mann Präsident wird. Ericson will sich für einige Zeit aus dem politischen Leben zurückziehen, um später vielleicht als Wirtschaftsberater zurückzukehren. Er gibt die Macht ab, an die er sich so lange geklammert hatte, doch er empfindet dies nicht als Rückschritt. Obwohl er jetzt tatsächlich erste Umrisse erkennt, kann er auch den Gedanken an dauerhafte Blindheit besser akzeptieren und glaubt, durch die Blindheit gereift zu, sodass er die Macht nicht mehr für sich braucht. In seiner Abschiedsrede sagt er:
„Jede Behinderung, die aus heiterem Himmel kommt, lehrt einen etwas über sich selbst und zwingt einen, auch andere Menschen anders zu betrachten. Ich war mein Leben lang ein ziemlich überheblicher und draufgängerischer Bursche. Nun heißt das selbstverständlich nicht, daß ich jetzt plötzlich zu einem sentimentalen Angsthasen geworden wäre. Aber ich kann Ihnen verraten, daß ich längst nicht mehr so auf mich selbst konzentriert bin, wie ich es früher war. (...) Das Dunkel hilft einem, sich auf das Geistige zu konzentrieren, es kann einem helfen, zu erkennen, was wichtig ist.“ (S. 671 f.)