Seltmann, Eckhard: Maulwurf oder der Alleingang

Reinbek : Rowohlt, 1992
154 S.
Autobiografie

In dieser Autobiografie schildert Eckhard Seltmann seine Erblindung. Er ist Lehrer und weiß seit vielen Jahren, dass er Retinitis pigmentosa hat, seit 1989 ist er aus dem Schuldienst entlassen. Das Buch ist anders als viele autobiografische Berichte nicht chronologisch geschrieben, sondern ist eine Zusammenstellung aus erzählenden Abschnitten, Reiseerlebnissen, Erinnerungen, Gesprächen und reflektierenden Einschüben. Beispiel: In dem Kapitel „Training ohne Anzug“ beschreibt er sein Mobilitätstraining, seine ersten Fehler und Fortschritte. Im anschließenden Kapitel „Ernüchterung“ setzt er sich selbstironisch mit seiner Euphorie auseinander, mit seiner Hoffnung, die Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Der äußere Rahmen ist ein Urlaub bei Freunden auf einer Insel im Süden. Er hat sich zu dieser Reise ohne seine Frau und seine Kinder entschieden, um über seine veränderte Identität nachzudenken. Dabei geht es nicht nur um Blindheit, sondern auch um Themen, die zunächst scheinbar nichts mit seiner Erblindung zu tun haben, z. B. die Leistungsgesellschaft und die Rollen von Männern und Frauen. So schildert er die letzten Stunden seines sterbenden Vaters, der sein Leben lang für seine Firma gearbeitet hat und dabei den Raubbau an seiner eigenen Gesundheit ebenso verdrängt hat wie die zunehmende Erblindung seines Sohnes. Eckhard Seltmann kritisiert ein normiertes Männerbild, nach dem Männer stark und dominant sein müssen und gleichzeitig eine Gesellschaft, die behinderte Menschen nicht teilhaben lässt.

 

Die Last der Behinderung und zugleich Verantwortung zu tragen, läßt sich in unserer Gesellschaft nicht miteinander vereinbaren – und seien die Schultern des oder der Betreffenden noch so breit. Ausnahmen und medienspektakuläre Vorzeigemodelle bestätigen dabei nur die Regel (S. 137 f.)

 

Man entläßt ihn aus seinem Arbeitsprozeß, und es bleibt ihm überlassen, diesen Freiraum zu nutzen oder sich alsbald als Nichtsnutz oder Nichtstuer zu empfinden. (S. 138)

 

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