Smithdas, Robert: Mit Händen ergriffen. Die Geschichte meines Lebens
LIFE AT MY FINGERTIPS, 1958
Stuttgart : Engelhornverlag 1960
241 S.
Autobiografie
Mit fünf Jahren erkrankt Bob Smithdas, geboren 1925, an zerebraler und spinaler Meningitis. Drei Monate lang liegt er bewusstlos im Krankenhaus, dann wacht er auf. Seine Mutter sitzt an seinem Bett und spricht so nah an seinem Ohr, dass er die Bewegung ihrer Lippen spüren kann. Er merkt, dass sie weint, obwohl er nichts hört. Und vor seinen Augen ist ein dicker Nebel.
Bei dem Versuch zu sprechen, dröhnte meine Stimme in meinem rechten Ohr, aber ich konnte die einzelnen Worte nicht unterscheiden. Doch mir kam weder zu Bewußtsein, daß ich blind geworden war, noch daß ich mit dem linken Ohr gar nichts mehr und mit dem rechten Ohr nur noch wenig hörte. Und selbst wenn man mir das gesagt hätte, hätte es keinen sonderlichen Eindruck auf mich gemacht. Als ich allmählich meiner Blindheit gewahr wurde, überkam mich nur ein Gefühl des Staunens, aber keine Furcht. Wie sollte ich vor etwas Angst haben, das sich völlig meinem Verständnis entzog? (S. 9)
Nach und nach lernt er sich zu orientieren, indem er alles, aber wirklich alles, was er in seiner Umgebung findet, abtastet und in den Mund steckt, ob es gut schmeckt oder nicht. Seine Mutter will das manchmal unterbinden, aber es ist für ihn die einzige Art, die Welt kennenzulernen.
Die ersten Jahre hat er noch einen Hörrest und ist deshalb fasziniert von allen lauten Geräuschen. Aber seine eigene Stimme hört er nicht und deshalb verschlechtert sich seine Sprache immer mehr. Ein Jahr nach Ausbruch seiner Krankheit kommt er in ein Internat für blinde Kinder. Dort ist er das einzige hörbehinderte Kind und vier Jahre später verlor er seinen letzten Hörrest.
Er fordert erst seine Mutter auf, ihm das Schwarzschriftalphabet beizubringen und in die Hand zu malen, von einer Lehrerin lernt er außerdem das Handalphabet, aber er kann sich nur mit seinen Lehrern unterhalten, unter den blinden Kindern lebt er isoliert, zumal seine Sprache kaum noch verständlich ist. Die blinden Kinder verhöhnen ihn und nennen ihn „Müllpott“, weil er alles abtastet und erschnuppert. Er leidet unter der Ablehnung und seine Lehrerin leidet mit ihm. Sie vermittelt ihn an das Perkins-Institut, das Erfahrung mit taubblinden Kindern hat. Dort hat jedes hörsehbehinderte Kind einen sehenden Begleiter und Bob findet erstmals Freunde. Er lernt mit den Händen von den Lippen abzulesen und erhält Sprachunterricht. Außerdem entwickelt er den Ehrgeiz, Ringer zu werden, und setzt das gegen alle Widerstände durch. Nach dem Abitur wechselt er in eine Berufsschule für blinde Schüler, die als Selbsthilfeeinrichtung von blinden Menschen gegründet wurde. Sie war als Alternative zu den fürsorgerischen Bemühungen der Sehenden gedacht. An dieser Schule lernt er verschiedene Handwerkstechniken, die ihn aber alle nicht befriedigen. Er empfindet es als Durchgangstation, sein eigentliches Ziel ist die Universität. Doch das hat bis zu diesem Zeitpunkt außer Helen Keller noch kein hörsehbehinderter Mensch geschafft.
Die Lehrer der Technischen Schule bereiteten mich sorgfältig vor, denn sie wußten genau, daß mehr auf dem Spiel stand als nur Sieg oder Niederlage eines Einzelnen. Zeigte ich mich den Anforderungen nicht gewachsen, würde es in Zukunft für meine Leidensgenossen, die zur Universität drängten, noch schwierig sein, Aufnahme zu finden. Mein Fall war also eine Art Test von allgemeiner Bedeutung. (S. 137)
Alles wird sorgfältig organisiert. Ein Kommilitone wird sein Assistent und buchstabiert ihm alles in die Hand, Ehrenamtler übersetzen die wichtigste Literatur in Braille. Er tritt einer Verbindung bei und macht jede Art von Unfug mit. Außerdem verliebt sich eine Studentin in ihn, aber will nicht, dass sie sich an ihn bindet. Er findet, er hätte kein Recht darauf. Er bricht den Kontakt zu ihr ab und freut sich, als sie etwas später einen anderen Mann heiratet. Smithdas schafft es, sein Studium mit Bestnoten zu absolvieren.
Die Presse wird auf ihn aufmerksam und er hat Auftritte im Fernsehen. Ein weiteres Studium in New York folgt, in dem er sich auf das die berufliche Eingliederung körperbehinderter Menschen spezialisiert.
Danach arbeitet er als Redner an seiner alten Fachschule, reist mit seinem Assistenten durch die USA und hält Vorträge über Blindheit und Gehörlosigkeit. Er beschließt, allein zu leben, auch wenn das zu Pannen führt, weil er zum Beispiel vergisst, den Wasserhahn zuzudrehen und es erst merkt, als seine Füße nass werden. Aber er fühlt sich glücklich, trotz aller Pannen und dem Gefühl der Einsamkeit.
Ich bin am Ende meines Berichts, und ich muss sagen, das Leben ist reizvoller und schöner geworden, je dankbarer ich seinen Reichtum empfange, selbst seine Härten haben sich durch meine Bereitschaft, zu verstehen, gemildert. Ich habe viele Interessen, die meine Zeit ausfüllen, und ich strebe danach, einen Sinn in den Beschränkungen meines Alltags zu sehen und nicht selbstsüchtig oder bitter zu werden. (S. 240 f.)