Stehr, Hermann: Der Heiligenhof

Berlin : Deutsche Buchgemeinschaft, 1918
554 S.
Roman

Im Mittelpunkt des Romans steht der Bauer Andreas Sintlinger. Als junger Mann war er für sein ausschweifendes Leben bekannt, aber er wandelt sich, als er erfährt, dass Leni, sein einziges Kind, blind ist. Er glaubt, dass sie nicht sehen müsse, weil sie über ein inneres Sehen verfüge und eine Heilige sei. Nun beschäftigt er sich intensiv mit religiös-mystischen Fragen und glaubt, als Vater einer Heiligen Gutes tun zu müssen. Das bringt ihm den Beinamen Heiligenbauer ein. Tatsächlich gibt es Leute in der Gegend, die glauben, durch die Begegnung mit der blinden Leni verändert worden zu sein. Solche Geschichten sprechen sich schnell herum und führen zur Wiederbelebung einer religiösen Gemeinschaft. Der Heiligenbauer wird von den Angehörigen dieser Sekte als Führer anerkannt. Dann kommt Leni in die Pubertät, was den Heiligenbauern sehr verunsichert. Er möchte seiner Frau sagen:

Du, Johanna, wenn unser Lenlein ein Mädchen ist wie alle anderen, so war oft, am Ende alles, was ich gesonnen habe, ein Betrug. (S. 469)

Leni sehnt sich nach Liebe und nach einem Mann, ohne so recht zu wissen, was sie eigentlich will. Das ändert sich, als sie Peter trifft, den Sohn des verfeindeten Nachbarn. Sie erkennt sofort, dass sie ihn liebt, und wird durch diese Begegnung sehend. Es dauert eine kurze Zeit, bis sie sich umgestellt hat.

Alles war bunt, fest, fremd, schimmerte, stand nah und steckte doch durch die Schärfe der Umrisse voll einer drohenden Feindseligkeit. Oh, und wie verwandelt waren die Menschen, der Hof, der Garten, die Wege, die Hügel, Wald und Himmel. Alle, die vor ihr erschienen, Knecht, Magd und Wirtschafter, wurden von ihr einen Augenblick betrachtet, dann ließ sie ihre Lider einsinken und verglich die sichtbare Gestalt mit ihren augenlosen Vorstellungen von früher. (S. 489)

Dann geht es sehr schnell. Sie braucht kaum etwas zu lernen.

Während sie in der jenseitigen Welt ihrer blinden Augen verwunschen umhergesessen und durch nutzlos himmlisches Träumen gewandelt war, hatte sie sich alle Fertigkeiten angeeignet, so geheimnisvoll, wie ein Kind die Sprache der Erwachsenen kann, noch ehe es ein Wort zu sprechen imstande ist. Jeder Griff lag fertig in den Händen und wartete nur auf den Anruf. (S. 500)

Aus dem zarten, elfenartigen Mädchen wird eine normale junge Frau. Alle freuen sich darüber, bis auf den Heiligenbauern, dessen Weltbild erschüttert ist. Leni bleibt jedoch nicht immer glücklich. Nach kurzer Zeit kommt es zur Entfremdung zwischen ihr und Peter. Er ist nicht der Edle, Reine, wie sie immer geglaubt hat. Als sie dies erkennt, begeht sie Selbstmord. Ihr Vater ist bestürzt, doch nun erscheint Faber, ein Mann, den er vor Jahren kennengelernt hat und an den er immer denken musste. Faber macht ihm klar, dass seine Einsichten nur durch die Tochter kamen. Jetzt macht der Bauer seine letzte Wandlung durch und wird wirklich der Heiligenbauer.

(Vgl. Hermann Stehr: Peter Brindeisener)

 

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