Stone, Michael: Das Blindeninstitut

Berlin : Kupfergraben, 1991
182 S.
Autobiografie

Michael Stone wird 1922 in Berlin geboren, seine jüdische Familie zieht 1933 nach Wien. Die verarmte Familie lebt in einer heruntergekommenen Wohnung.
Mit knapp 16 zieht Michael von zu Hause aus, weil er sich mit seinem Vater nicht versteht. In dieser Zeit wird auch seine Schulzeit durch die Machtübernahme der Nazis abrupt beendet, Michael versteht allerdings zunächst nicht die volle Tragweite der Ereignisse. Er verdient sich etwas Geld mit Botengängen, ansonsten darf er seine freie Zeit im jüdischen Blindeninternat Hohe Warte verbringen. Seine Aufgaben sind kleine Hilfsdienste, wie etwa Tische decken, ansonsten verbringt er die Zeit mit den blinden Jugendlichen, begleitet sie in die Stadt oder hört ihnen beim Klavierüben zu. Bei der ersten Begegnung mit ihnen ist ihm unwohl.

Diesmal würde er mit einer fremden Welt in Berührung kommen, einer Welt, welche die meisten Menschen ängstlich meiden. Nach der Unfaßbarkeit des Todes gibt es für den, der alle seine Sinne beisammen hat, keinen größeren Schrecken als die Vorstellung, in ein ewiges Dunkel gestoßen zu werden. Ein Blinder ist ein erbarmungswürdiges Geschöpf; eine Schar von Blinden ist in den Augen des Sehenden fast so etwas wie eine persönliche Bedrohung. Nachtfiguren, die Hände tastend vorgestreckt, die Köpfe in lauschender Pose, die Augen leblos oder gar leere Höhlen. Man schämt sich seiner Abscheu; man zwingt sich zum Mitleid, man ist dankbar für den Segen des Lichts. (S. 41)

Aber nach den ersten Begegnungen legen sich seine Vorurteile schnell und er schließt er Freundschaften. Während Michael perspektivlos ist, haben die blinden Gleichaltrigen schon konkrete Berufswünsche, einige bereits mit einer Ausbildung begonnen.


In einer Zeit also, in der alles aus den Fugen zu geraten schien, Michaels Familie zersplittert, die Schule versperrt, keine Aussicht auf irgendeine erkennbare Zukunft und das, was man das normale Leben nennt, erwies sich das Blindeninstitut als eine erstaunlich autarke Welt, in der jeder wusste, wo er hingehörte, was er tun sollte, welche Fähigkeiten er besaß. Letzten Endes war das natürlich auch illusorisch, aber vorerst wurde das Heim kaum berührt von dem, was draußen geschah. (S. 51 f.)


Aber auch diese Welt gerät nach kurzer Zeit aus den Fugen, Eltern und Spender, alles Juden, haben ihre Existenzgrundlage verloren und wissen nicht, wie sie die Einrichtung weiterhin unterstützen können.
Nach der Reichspogromnacht ist das gute Verhältnis zwischen Michael und den blinden Jugendlichen zu Ende.


Zum ersten Mal spürte Michael, daß er doch nicht ganz dazugehörte, daß er, der Sehende, der von draußen Kommende, in dieser kritischen Situation von den blinden Jugendlichen fast wie ein Vorbote der feindlichen Welt betrachtet wurde, die außerhalb des Instituts lag und sich nun anschickte, in ihr Refugium einzubrechen. (S. 163)


Die Leser und Leserinnen wissen aber schon seit dem dritten Kapitel, dass die blinden Jugendlichen die Naziherrschaft nicht überleben werden.


Es sind noch drei Wochen bis zum jährlichen Beethoven-Wettbewerb, der in diesem Jahr zum letzten Mal stattfinden wird. Ein Jahr später wird dieses Heim für blinde Kinder und Jugendliche geschlossen sein. Dr. Altmann, der Direktor, wird nach Amerika auswandern. Noch ein Jahr – und einige der Kinder werden bereits tot, ermordet sein. Und noch ein Jahr – und die anderen werden mit ihren Familien in Viehwagen in ein Ghetto in Polen transportiert worden sein. Ein Jahr darauf werden sie alle tot, ermordet sein. (S. 15)


Michael erhält die Chance, nach England auszuwandern.
Stone beschreibt die letzten Monate seiner Wiener Zeit nicht chronologisch, sondern mischt verschiedene Geschichten. So schildert er den letzten Musikwettbewerb in der Hohen Warte und fügt dabei Teile der Teiresias-Sage ein.

 

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