Wienbruch, Anny: Die kleine Lerche
Stuttgart : Verlag goldene Worte, 1961
78 S.
Kinderroman
Eine Lehrerin erzählt von ihrer blinden Schülerin. Ein Jahr nach Ende des Krieges bringt eine Mutter aus einem Flüchtlingslager ihre zehnjährige Tochter Anke zur Einschulung. Die Lehrerin ist verdutzt, hält sich nicht für zuständig. Aber Ankes Mutter bittet die Lehrerin, ihr Kind zu unterrichten, ihre Tochter sei noch nie zur Schule gegangen. Im Krieg habe sie das Kind nicht weggeben wollen, und nun sei die nächste Blindenschule zerstört und noch nicht wieder aufgebaut.
Auch eine andere Mutter setzt sich für Anke ein.
„So nehmen Sie sie doch, Fräulein“, drängte die andere Frau. „Anke ist so klug und lieb, geht daher, als wenn sie sehen könnte. Sie macht Ihnen bestimmt keine Mühe. Und singen kann sie. Da werden Sie staunen, Fräuleinchen! „Unsere kleine Lerche“ haben wir sie genannt. Singvögel in der Gefangenschaft sollen ja auch besser singen können, wenn sie im Dunkeln oder blind sind. Ja, daß das Kindchen blind ist, das ist gewiß traurig. Aber es hat so sein müssen. Das hat der liebe Gott bestimmt. Das hat uns allen das Leben gerettet.“ (S. 8)
Anke darf bleiben, bis die Blindenschule wieder geöffnet wird. Die Lehrerin hört in den folgenden Wochen immer wieder, dass Anke mehrere Leben gerettet hat, aber Anke selbst sagt nichts dazu. Schließlich erfährt die Lehrerin, dass Anke die Menschen ihres Ortes auf der Flucht vor den Russen nachts durch die Sümpfe führte.
Anke führt sich gut in die Klassengemeinschaft ein, die anderen Kinder gehen sehr rücksichtsvoll mit ihr um. Die Klasse gilt als besonders diszipliniert, die Lehrerin schreibt das Ankes Einfluss zu. Besonders deutlich wird das bei ihrem Mitschüler Rudolf. Der Junge durchläuft die Klasse zum zweiten Mal, gilt als schwierig und undiszipliniert. Nun fühlt er sich als Ankes Beschützer, schwänzt nicht mehr die Schule und strengt sich an.
Rudolf ist unglücklich, weil Anke nicht sehen kann. In Märchen und Sagen werden Menschen geheilt, ebenso in der Bibel und bei der heiligen Odilie. Er kann nicht verstehen, weshalb das bei Anke anders sein sollte. Er sammelt Tau, weil das im Märchen auch geholfen hat, und beschließt, dass sein Vater die Reise zur Quelle der heiligen Odilie bezahlen sollte. Anke wehrt ab, sie meint, dass man weder der Quelle noch Gott befehlen könne.
Dann wird sie operiert, ohne Erfolg. Die Lehrerin, die auch an Ankes Geschichte Anteil nimmt, sucht einen Sinn in der Blindheit. Vielleicht, so überlegt sie, ist es ja Gottes Wille, weil sie so einen positiven Einfluss auf Rudolf hat. Anke selbst bleibt gelassen und hofft auf die Zukunft.
„(…) ich freu mich schon darauf, wenn ich einmal vom Herrn Jesus aufgeweckt werde und ihn als Ersten sehe. Dann – dann sehe ich!“ (S. 70)