Zolliger, Martha: Der blinde Junge
in: Martha Zolliger: Der blinde Junge und andere Erzählungen
Lahr : Johannis, 1992
S. 7–23
Kurzgeschichte für Kinder
Josi Marot ist eine wohlhabende Frau, die mit ihrem Hausmädchen Martina zurückgezogen in einem Haus lebt. Eines Tages erhält sie Post von ihrer Schwester Eveline, mit der sie sich vor Jahren zerstritten hat. Eveline ist Witwe, völlig verarmt und hat vier Kinder. Ein Sohn, Dani, ist blind. Außerdem ist er zart und schwach, der Arzt empfiehlt einen Aufenthalt auf dem Land, doch die Mutter kann das Geld nicht aufbringen. Deshalb wendet sie sich an ihre Schwester, bittet sie, Dani für eine Zeit zu sich nehmen. Josi Marot ist zuerst empört, dass man ihr das zumutet. Sie will mit diesem Elend nicht konfrontiert werden, jeden Tag ein blindes Kind zu sehen. Aber dann entwickelt sie doch Mitgefühl; gerade weil der Junge blind ist, will sie ihn aufnehmen.
Dann erscheint Daniel.
„Soll ich dich zur Tante führen?“, fragte Martina mitleidig. „Oh nein“, wehrte der Junge, „ich gehe selbst – ich höre.“ – „Komm zu mir“, sagte Frau Marot mit bebender Stimme.
Er streckte seine Hände aus und lehnte seinen Kopf nach hinten. (S. 14)
Zwischen Daniel und seiner Tante entsteht bald ein inniges Verhältnis. Angerührt durch Danis schlichte Frömmigkeit, bemerkt Frau Marot beschämt, wie sehr sie sich vom Glauben ihrer Kindheit entfernt hat.
Es wird nicht klar, weshalb Dani überhaupt zu seiner Tante soll. Der Arzt verordnet den Landaufenthalt, weil das Kind so zart und schwach ist. Sowohl seine Mutter als auch seine Tante führen als Hauptargument seine Blindheit an. Blindheit und Zartheit verschmelzen zu dem Gesamtbild eines armen, bemitleidenswerten Kindes. Demgegenüber werden Dani besondere Fähigkeiten unterstellt.
„Woher weißt du das?“, fragte sie erstaunt.
„Ich fühle es. Mama sagt, alle Blinden fühlen so fein. Das hat Gott gemacht.“ (S. 17 f.)
In dieser wie in den beiden anderen Geschichten dieses Buchs, geht es darum, dass Menschen zum rechten Glauben finden. Menschliches Leid in unterschiedlichen Variationen löst diese Entwicklungen aus.