Cauvin, Patrick: Blinde Liebe
L’AMOUR AVEUGLE, 1974
Reinbek : Rowohlt, 1980
225 S.
Roman
Die Geschichte spielt Anfang der 1970er Jahre. Jacques Bernier, 45 Jahre alt, ist Lehrer an einer Pariser Schule und seit langem geschieden. Sein Leben verläuft gleichförmig, er mag keine Veränderung, und Gedanken an unvorhergesehene Zwischenfälle beunruhigen ihn.
Seine erwachsene Tochter Anne hat ihn eingeladen, die Sommerferien bei ihr in Südfrankreich zu verbringen. Aber er fühlt ich bei seiner Tochter nicht wirklich wohl. Er fährt in die nächstgrößere Stadt und geht dort ins Kino. Vor ihm sitzt eine Frau, die so nett lacht, dass er seinen ganzen Mut zusammennimmt, sie anspricht und sie einlädt, mit ihm etwas trinken zu gehen. Die Frau willigt ein, hat aber nicht so viel Zeit.
„Ich muß um fünf wieder hier sein. Meine Schwester will mich abholen, um mich nach Hause zu bringen, weil …
Sie schob die Hände in die Taschen ihrer Jeans, lächelte, wie sie vorher noch kein einziges Mal gelächelt hatte, und fügte fröhlich hinzu: „Ich bin blind.“ (S. 63)
Sie gehen in ein Café und unterhalten sich und Jacques erfährt, dass sie Laura Bérien heißt, 34 Jahre alt ist, als Psychologin arbeitet und vor vier Jahren durch eine seltene Augenerkrankung erblindet ist. Der Sehnerv wurde immer schwächer, bis sie vollständig blind war.
Jacques verliebt sich in sie und beschließt, sich gleich am nächsten Tag wieder mit ihr zu treffen.
Andere Frage: Kann man einem Menschen gefallen und von ihm geliebt werden, ohne daß er einen sieht?
Ich lache in meinem Bett vor mich hin: Ich, der immer einen Horror davor hatte, aufzufallen, ich, der ich mich immer bemüht habe, möglichst unbemerkt zu bleiben, ich habe jetzt wirklich das große Los gezogen – ich liebe eine Frau, die mich nie sehen wird. (S. 70)
Die beiden haben denselben Humor und finden viele Gesprächsthemen, zum Beispiel über Filme, in denen Blindheit vorkommt. Sie ärgern sich über die wunderbaren Heilungen, die sie unrealistisch finden, und er gesteht, dass er sich überhaupt keine Heilung wünscht, weil er fürchtet, dass sie ihn dann uninteressant finden könnte.
Nach zwei Tagen beschließen sie spontan, zu verreisen. Sie fahren kreuz und quer durch Frankreich. Laura stellt Jacques ihren blinden Freunden vor, die einen Vorleseabend veranstalten. Jacques soll vorlesen. Dann reisen sie weiter. Nach drei intensiven Wochen gesteht Laura Jacques, dass sie in wenigen Wochen nach Amerika fliegt, wo ihr eine leitende Stelle an einem psychologischen Institut angeboten wurde. Vielleicht bleibt sie nur drei Monate, vielleicht auch länger. Ihre Schwester wird sie in die USA begleiten.
In der letzten Woche, die beiden noch gemeinsam bleibt, lernt er noch eine andere Seite an ihr kennen. Sie hat einen intensiven Gefühlsaubruch und erzählt ihm, dass sie ihre Erblindung nicht annähernd so gut akzeptiert, wie es bisher den Anschein hatte.
„Ich habe dir, so gut ich konnte, den Anschein vermittelt, daß ich mein Gebrechen auf die leichte Schulter nehme, wie etwas, das nicht weiter zählt, das unwichtig ist, das man überwinden kann. Aber ich kann dir eines versichern, Jacques: So etwas überwindet man nie, verstehst du, nie.“ (S. 203)
Nach diesem Ausbruch beginnt Jacques zu reden. Er sagt ihr, wie sehr er sie liebt und dass er unbedingt mit ihr zusammenleben will. Dann beginnen die letzten 24 Stunden vor dem Abflug, in denen sie noch einen Ausflug zur Rennbahn machen.
In der Zwischenzeit warnt Jacques‘ Tochter ihn davor, sich in einer Beziehung mit einer behinderten Frau zu überfordern. Umgekehrt warnt ein blinder Freund Laura vor einer Beziehung. Er gilt unter Lauras blinden Freunden mit seiner Meinung als Außenseiter, aber er formuliert es so:
„Wirkliche Kommunikation ist uns dann nur noch untereinander möglich. Wir bilden eine besondere Gesellschaft und was Sie auch anstellen mögen, Sie werden nie dazugehören. Und das wissen Sie. Und Laura weiß es auch.“ (S. 143)
Das ändert nichts an Jacques‘ Gefühlen und Hoffnungen. Er liebt Laura und er möchte unbedingt an der Beziehung festhalten. Das teilt er auch seiner Tochter mit.
Er bringt Laura schließlich zum Flughafen und hofft bis zuletzt, sie würde bleiben. Aber sie fliegt. Auf der Rückfahrt fragt sich Jacques, ob sie wiederkommt. Er weiß es nicht, aber er ist optimistisch.