Duvanel, Adelheid: Das Ungeborene

in: Adelheid Duvanel: Windgeschichten und Das Brillenmuseum
Frankfurt : Fischer, 1984
Deutsche Ersterscheinung 1980
S. 100–101
Erzählung

Die Schwestern Fanny und Astrid teilen sich eine Wohnung. Fanny ist berufstätig und die fast blinde Astrid besorgt den Haushalt. Es ist kein glückliches Zusammenleben, Astrid fühlt sich von Fanny abgehängt, im Vergleich zu ihr zurückgesetzt, vereinsamt. Sie hat kaum Kontakt zur Außenwelt, noch nicht einmal ein Radio. Nur in Kleinigkeiten kann sie einen Ausgleich herstellen, zum Beispiel gießt sie sich den Tee immer zuerst ein. In ihren Tagträumen stellt sie sich vor, sie bekäme ein Kind.

Das Kind wäre ihr Besitz, den sie nicht mit Fanny teilte. Wie jene Eingeborenen, die sie früher in Filmen oder Missionsheftchen sah, bände sie es an sich, trüge es immer auf dem Rücken oder auf der Brust und schenkte ihm Atem, Leben und Seele, Sekunde für Sekunde, sein Duft und sein Blühen gäbe ihr Freude. (S. 101)

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