Ani, Friedrich: Wie Licht schmeckt

München : Deutscher Taschenbuchverlag, 2005
Erstveröffentlichung 2002
222 S.
Jugendroman

Lukas lebt in München, er hat keine Freunde, die meisten seiner Mitschüler und Mitschülerinnen verachtet er. Am liebsten zieht er sich zurück und liest Beckett, unter anderem das Drama "Endspiel". Mit seinen Eltern kommt er auch nicht zurecht, die Mutter ist depressiv und in psychiatrischer Behandlung, darüber hinaus versucht sie ihr Leben mit Esoterik und Tarotkarten in den Griff zu bekommen. Seinen Vater, einen Taxifahrer, nennt Lukas mal „Besserwisser“ und dann den „großen Schweiger“, der sich aus allem heraushält. Vor allen Dingen hält er ihn für dumm.
An seinem vierzehnten Geburtstag erfüllt Lukas sich selbst einen Wunsch: Er will drei Tage und Nächte allein durch München laufen. Seine Eltern sind entsetzt, aber Lukas lässt sich nicht abhalten. In den drei Tagen lernt er eine Reihe unterschiedlicher Leute kennen, unter anderem die siebzehnjährige Sonja. Bei der ersten Begegnung stolpert er fast über sie. Sie verliert kurzfristig ihre Tasche, mehrere Zettel fallen heraus. Nach einem kurzen, unfreundlichen Wortwechsel geht sie weiter. Erst als sie schon fast weg ist, versteht er, dass das weiße Ding, das sie in der Hand hatte, ein Blindenstock ist. Nun rennt er hinter ihr her, um sich zu entschuldigen. Sie bittet ihn, ihr über die Straße zu helfen, dann trennen sich ihre Wege. Nach einigen unerfreulichen Begegnungen mit anderen Menschen fällt sie ihm wieder ein, er denkt an die vielen Dinge, die sie nicht sieht, sagt sich, dass das nicht seine Sache sei, will die Begegnung abhaken und sie doch wieder treffen. Auf einem der Zettel, die aus ihrer Tasche fielen, stand die Adresse eines Lokals und er fährt dorthin. Dort trifft er sie tatsächlich, denn sie arbeitet dort als Kellnerin, alles sieht so mühelos und perfekt aus, dass Lukas Zweifel an ihrer Blindheit kommen. Er überlegt sich, ob das Ganze vielleicht eine Reality Show ist. Er spricht sie an und sagt ihr, dass er ihr die gespielte Blindheit nicht glaubt. Das blinde Mädchen, sie heißt Sonja, wird wütend.

„Glaubst du, Blinde sind dämlich?“, sagte Sonja. Und ihre Finger bohrten sich in meinen Arm, dass ich vor Schmerz aufschrie. (S. 65)

Trotzdem bleibt Lukas bis nach Dienstschluss im Lokal und anschließend gehen sie zusammen schwimmen. Dort kommen sie noch einmal auf ihren Streit im Lokal zu sprechen. Sie wirft ihm vor, seine Zweifel an ihrer Blindheit seien beleidigend.
Um einer Auseinandersetzung zu entgehen, geht Lukas ins Wasser, obwohl er gar nicht gerne schwimmt. Dabei ertrinkt er beinahe. Sonja bemerkt dies, springt geistesgegenwärtig ins Wasser und rettet ihn. Später fragt er sie, wie das möglich war, wie sie ihn in dem großen Becken gefunden hat. Sie antwortet, dass sie ihn gehört hatte. Sie findet diese Frage - wie alle anderen Fragen auch - ungehörig und legt sie ihm als Arroganz und Dummheit aus.
Obwohl sie ihn immer wieder beschimpft, bleiben sie noch den Nachmittag zusammen.
Er will ausprobieren, wie es ist, blind zu sein. Deshalb macht er die Augen zu und läuft los. Er stößt sich einige Male, dann wird es besser. Er beginnt, sich auf Geräusche zu konzentrieren und tastet vorsichtig den Boden ab. Nach und nach fühlt er sich sicherer, glaubt, alles sei ganz leicht, bis er eine Treppe herunterstürzt. Mehrere Frauen wollen ihm helfen, er lehnt unwirsch ab. Noch benommen von dem Sturz, stellt er fest, dass Sonja ihm einen Zettel mit ihrer Telefonnummer zugesteckt hat. Er ruft sie an und besucht sie. Sonja kommt – im Gegensatz zu Lukas – aus einem wohlhabenden Elternhaus. In ihrer Wohnung ist alles vornehm, eine völlig neue Welt für Lukas.
Sie verbringen einen Tag miteinander und gehen zusammen ins Bett. Sonja ist dabei die aktivere Person, Lukas wird von den Ereignissen mehr oder weniger überrollt. Es ist für ihn eine neue positive Erfahrung, auch wenn sie nicht wirklich miteinander schlafen.
Anschließend gehen sie miteinander essen, auch hier ist die drei Jahre ältere Sonja wieder die erfahrenere. Sie ist beim Essen anspruchsvoll, lehrt ihn einiges über Wein und woran man Qualität erkennt. Guten Wein vergleicht sie mit Licht, das man trinken kann.
Am dritten Tag will er Sonja wieder besuchen, trifft aber nur ihre Mutter. Die fordert ihn auf, ihre Tochter in Ruhe zu lassen, und erzählt, dass Sonja einmal fürchterlichen Liebeskummer hatte, weil eine Beziehung zu Ende ging. Das will Sonjas Mutter ihrer blinden Tochter nicht mehr zumuten.

„Sonja hat so ein Verlangen nach Zärtlichkeit, nach körperlicher Nähe, das ist ja normal in diesem Alter, und dann vergisst sie, dass sie behindert ist und die jungen Männer denken, sie ist doch dankbar, wenn sie eine Zeit lang nett zu ihr sind. Und sie glaubt, sie meinen es ernst. Und das tun sie nicht.“ (S. 198 f.)

Lukas verlässt die Wohnung und geht ins Kino. Er weiß, dass Sonja sich mit ihrer Freundin einen bestimmten Film ansehen wollte. Er hat Glück und trifft sie tatsächlich. Gemeinsam mit der Freundin übt er sich in Live-Audiodeskription.
Anschließend will Lukas Sonja noch etwas zeigen und führt sie in eine Straße, in der nach Meinung seiner Mutter ein besonders schönes Licht ist. Er fordert sie auf, den Mund weit aufzumachen und das Licht zu kauen.
Dann beginnt Sonja wortlos zu weinen, ihr Gesicht hat sie der Sonne zugewandt. Schließlich gibt sie Lukas noch einen Kuss, dann fährt sie mit ihrer Freundin weg.
Ob Lukas und Sonja sich je wiedersehen, bleibt offen, aber Lukas ist durch diese Begegnung verändert. Klaglos akzeptiert er die vierzehn Tage Hausarrest und freut sich, jetzt endlich in der Wirklichkeit angekommen zu sein. Und er will sich zumindest vorerst von Beckett verabschieden.  


(Vgl. Film: Wie Licht schmeckt)

 

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