Euripides: Die Phönikerinnen
in: Joachim Schondorff: Antigone
München : Langen Müller, 1983
7. Auflage
S. 75–121
Erstveröffentlichung ca. 408 v. Chr.
Drama
Bei Euripides beginnt die Handlung, als Ödipus‘ Familie noch lebt. Im Vordergrund steht der Streit zwischen den Brüdern Eteokles und Polyneikes. Antigone und ihre Mutter Iokaste versuchen, die beiden zu versöhnen, doch ohne Erfolg. Eteokles und Polyneikes bringen sich gegenseitig um und Iokaste begeht daraufhin Selbstmord. Kreon, der neue Herrscher, befiehlt, Eteokles mit allen Ehren zu beerdigen und Polyneikes unbeerdigt zu lassen. Außerdem muss Ödipus das Land verlassen, Kreon beruft sich dabei auf Teiresias. Antigone erklärt Kreon, dass sie seine Gebote nicht halten will und lieber auf die Ehe mit Haimon verzichtet. Sie zieht es vor, mit ihrem blinden Vater Theben zu verlassen. Ödipus will von diesem Verzicht erst nichts wissen, aber Antigone will den blinden Mann nicht allein lassen.
Zwei blinde Männer: Teiresias, der Seher, der nur einen kurzen Auftritt hat, wird von seiner Tochter geführt. Er interpretiert Vergangenheit und Gegenwart. Das Land krankt seiner Meinung nach, weil Laios gegen den Rat der Götter einen Sohn bekam (Ödipus). Außerdem blickt er in die Zukunft: Theben wird es so lange schlecht gehen, wie Ödipus‘ Familie dort lebt, und er weiß auch einen Weg, das Schicksal abzuwenden: Kreon soll seinen Sohn Menoikes opfern. Teiresias bezieht sich auf die Worte der Götter, die er hörte.
Bewahre mir in deiner jungfräulichen Hand
Des Vogelfluges Lose, die ich sammelte
An heiliger Stätte, wo mir Götterwort ertönt. (S. 98)
Der andere blinde Mann, Ödipus, wird hier vergleichsweise ausführlich behandelt. Seine Blindheit wird nicht überhöht, im Gegenteil, die Söhne werfen ihm diese vor. Antigone hat Mitleid mit ihm. Ödipus wirkt durch seine Blindheit eher bedauernswert. Auch Antigones Sorge um den Vater hat einen höheren Stellenwert, als ihr Wunsch, den Bruder zu beerdigen.
(Vgl. Bertolt Brecht: Die Antigone des Sophokles)