Fredriksen, Marianne: Sofia und Anders

BLINDGANG
Frankfurt : Krüger, 2001
Schwedische Erstausgabe 1992
476 S.
Roman

Familie Horner lebt in einem kleinen Dorf in Schweden. Sie besteht aus den Großeltern Hans und Kerstin, ihrer Tochter Klara und der Enkeltochter Sofia. In der Familie gab es schon immer Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten, Klara war deshalb zeitweise in psychiatrischer Behandlung, und nun beginnt auch das jüngste Familienmitglied, Klara, mit einem Berg zu reden.
Als Sofia circa zehn Jahre alt ist, freundet sie sich mit dem zwölfjährigen blinden Anders an. Beide sind Außenseiter im Dorf.

Solange sie denken konnte, war sie neugierig auf ihn gewesen, hatte überlegt, was er dort drinnen in seiner Dunkelheit wohl sah. Eine andere Welt musste das wohl sein, vielleicht wie die Welt des Berges oder des Brachlands, hatte sie sich überlegt.
Unheimlich und wunderbar. (S. 22)

Eines Tages sieht sie ihn mit seinem Langstock durch das Dorf gehen, sie beobachtet ihn eine Weile und findet es sehr elegant. Dann spricht sie ihn an und fragt ihn als Erstes, was er sieht, wenn er träumt.

„Ach“, sagte der Junge, „ich träume von Engeln, großen, weißen, mit langen Flügeln, in die sie mich einhüllen können.“ (S. 23)

Damit beginnt die Freundschaft. Sofia kann ihm alles erzählen, auch von dem Berg, der zu ihr gesprochen hat. Anders rät ihr, den Erwachsenen nicht immer die Wahrheit zu erzählen. Und er schildert ihr, wie er die Welt sieht. Er kann den Blick nach innen richten und kann dann auch Farben, Bäume und anderes sehen.
Eines Tages beschließen sie, zusammen zu träumen. Zwei Wochen üben sie, dann klappt es. Nach den ersten Versuchen verabreden sie einen bestimmten Traum: Sie wollen sich in der Kirche treffen und gemeinsam durch das Kirchendach fliegen. Tatsächlich sieht die ganze Gemeinde, wie beide Kinder während eines Gottesdienstes durch die Luft schweben und wie sich das Kirchdach öffnet. Niemand versteht dieses Wunder, zumal die beiden Kinder zu dieser Zeit krank und schlafend in ihren Betten gelegen haben. Man erklärt es sich als kollektive Halluzination. Die Erwachsenen versuchen die Kinder vor dem Medienrummel, der durch dieses Ereignis ausgelöst wurde, zu bewahren. Doch zunächst versteht niemand Anders‘ wirkliches Problem: Er konnte während des Fluges sehen. Zuerst fand er es schrecklich und abstoßend, die Farben erschienen ihm grell, aber dann gefiel es ihm so gut, dass er, als er wieder aufwacht, seine Blindheit erstmals als belastend empfindet.

Er hatte nicht gewusst, wie schrecklich das war. Blind, sehbehindert – er hatte es nicht begriffen. Jetzt, wo er es wusste, wollte er sterben. (S. 152)

Obwohl die Horners wissen, dass Anders suizidgefährdet ist, fliegen sie mit ihm und seiner Mutter ein paar Tage in den Süden. Hans Horner kann einen Suizidversuch verhindern, womit das Thema erledigt ist, Anders unternimmt keine weiteren Versuche.
Im letzten Drittel des Romans spielt Anders nur noch eine untergeordnete Rolle. Es geht um das Verhältnis von wahrnehmbarer Welt und übersinnlicher Wahrnehmung, den Zugriff auf verdrängte Erlebnisse und um Menschen, die „um die Ecke sehen“.
Die Autorin stellt dem Roman ein Gedicht von Gunnar Eklof voran, das im Roman noch einmal zitiert wird.

Eine Welt für sich ist jeder Mensch, bevölkert
von blinden Geschöpfen in dunklem Aufruhr
gegen das Ich, den König, der über sie herrscht.  (keine Seitenzahl)

 

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