Frey, Jana: Der verlorene Blick. Ein Mädchen erblindet
Bindlach : Loewe, 2002
167 S.
Jugendroman
Leonie ist fünfzehn, lebt in Düsseldorf und ist das erste Mal in ihrem Leben verliebt. Der Junge heißt Frederik, kommt aus Berlin und ist gerade bei seiner Cousine zu Besuch. Er nennt sie „Leonie mit den Waldmeisteraugen“, weil sie so ungewöhnlich grüne Augen hat.
Frederik kann nicht lange bleiben, er muss zurück zu seinem Zwillingsbruder, der gerade versucht hat, sich das Leben zu nehmen, weil er mit seiner zunehmenden Erblindung nicht zurechtkommt. Doch bevor Frederik zu seinem Bruder fährt, will er mit Leonie und gemeinsamen Freunden einen Ausflug machen. Dabei verunglücken sie mit dem Auto. Als Leonie aus dem Koma aufwacht, hat sie einen Kopfverband und heftige Kopfschmerzen. Sie erfährt, dass sie einen schweren Unfall und ein Schädel-Hirn-Trauma hatte. Und sie ist blind, aber das erfährt sie erst später, denn ihre Eltern bringen es nicht fertig, ihr das zu sagen. Ihr Schweigen, ihr Versuch, sich heiter zu geben, macht Leonie misstrauisch. Als ihr die Blindheit bewusst wird, erschreckt sie diese Einsicht so sehr, dass sie erstarrt und nichts mehr von der Umgebung mitbekommt.
Ich schlief und schlief und schlief. Ich war nicht ansprechbar, weil ich nicht da war. Weil es mich nicht mehr gab. Ich konnte nicht sehen, nicht hören, nicht riechen, nicht denken. (S. 47)
Ihrem kleinen Bruder gelingt es, sie aus dieser Starre herauszuholen. Sie hört und fühlt jetzt, was mit ihr geschieht, aber sie wehrt sich weiterhin gegen die Blindheit. Sie will das Bett nicht verlassen und nicht essen. Die Krankenschwestern, der Psychologe und die Familie können sie nur mühsam dazu bewegen, Schritt für Schritt wieder aktiv am Leben teilzunehmen.
Sie will in keine Rehaklinik, sie will weder andere blinde Menschen kennenlernen noch alte Freunde treffen. Nur langsam bröckelt der Widerstand, sie lässt eine Mobilitätslehrerin an sich heran und nimmt, wenn auch widerwillig, Punktschriftunterricht. Aber immer wieder gibt es Rückschläge, bei dummen Bemerkungen ihrer Mitmenschen verlässt sie der Mut.
Besonders hartnäckig weigert sie sich, ihren Freund Frederik zu sehen, zu groß ist ihre Angst vor Zurückweisung, weil sie nicht mehr so ist wie vor dem Unfall. Erst als Frederik eine Beziehung mit ihrer Mitschülerin Anna beginnt, schreckt sie hoch. Ihre Freundin rät ihr, nach Berlin zu fahren.
Diese Reise ist ein Wendepunkt in ihrem Leben. Sie kann damit nicht nur ihre Beziehung retten, sie beginnt auch, sich aktiv mit ihrer Behinderung auseinanderzusetzen, und nimmt Kontakt zu Frederiks Zwillingsbruder auf.
Ab und zu, heißt es im Nachwort, ist sie immer noch verzweifelt. Aber sie entwickelt eine Perspektive, hat sehende und blinde Freunde.