Golinski, Edith: Die Blätter nahm mir der Wind

Darmstadt : Bläschke, 1975
125 S.
Roman

Marianne, die als Kind erblindete, wird erfolgreich operiert. Aber sie muss das Sehen und das Lesen neu lernen. Auch das Zeichnen lernt sie.
Nach zwei Jahren wird sie an der Kunstakademie angenommen. Obwohl sie das erreicht hat, was sie immer wollte, ist sie an der Akademie nicht glücklich. Während ihre Kommilitonen versuchen, ihre eigene Sicht der Dinge darzustellen und zu abstrahieren, bemüht sich Marianne um eine möglichst getreue Abbildung der Wirklichkeit. Das wird belächelt, doch Marianne begründet das folgendermaßen:

„Mit blinden Augen sah ich das Innere der Bilder“, sagte ich leise. „Jetzt, da ich mit sehenden Blicken dem Leben begegne, sehe ich nur noch das Äußere aller Dinge, sind sie doch tausend und abertausendmal schöner, als ich sie mir erträumte.“ (S. 54)

Sie verliebt sich in Norbert, einen Kommilitonen, und träumt daraufhin von zwei miteinander verschlungenen Blumen. Schon im Traum ist ihr bewusst, dass diese Blumen Symbol für ihre Liebe zu Norbert sind.
Für die Leserinnen und Leser kommt dies nicht überraschend, da ihr kurz vor der Begegnung mit Norbert eine Gärtnerin einen Zweig schenkte und sagte, dass jeder, der einen solchen Zweig geschenkt bekommt, seiner großen Liebe begegnen wird.
Auch Norbert hat sich in Marianne verliebt, aber die Freundschaft ist von Anfang an belastet. Norbert ist verheiratet und hat drei Kinder. Ein Spiel, bei dem zwei in einen Bach geworfene Zweige den weiteren Lebensweg zeigen sollen, deutet an, dass sie langfristig nicht zusammenbleiben werden. Da beide stark mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind, bricht der Kontakt immer wieder ab, und so ist Marianne überrascht, als sie hört, dass Norbert einen Kunstpreis gewonnen hat. Das Bild, das ausgezeichnet wurde, ist eine Darstellung von Liebe, jenen zwei Blumen, von denen Marianne geträumt hat. Die Preisvergabe wird im Freundeskreis gefeiert und endet mit einer gemeinsamen Nacht von Norbert und Marianne. Kurz darauf muss Norbert aber zu seiner Familie zurück, und Marianne, die sich schon länger unwohl fühlte, wird krank. Sie fürchtet, dass dies wieder der Anfang einer neuen Erblindung sein könnte. Das Buch endet mit ihren Träumen (Fieberträumen?), die noch einmal von allen Ereignissen und Konflikten der letzten Monate handeln.
Marianne lebt während ihres Studiums bei ihrem Cousin und seiner Familie. Schon bei der ersten Begegnung hat sie eine Vision: Sie sieht die Tochter ihres Cousins zart, durchsichtig und körperlos. Später hat sie diese Vision noch einmal, und zwar genau an dem Tag, an dem das Kind ertrinkt.
Im Vordergrund des Romans stehen die Reflexionen der Autorin. Es geht immer wieder um Sehen bzw. Nicht-Sehen, um Kunsterlebnisse Blinder und Sehender, um Kunst allgemein und um die Fähigkeit, hinter die Dinge zu sehen.

 

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